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Monatsinterview

«Solang du den Plausch hast, lernst du immer dazu»

Nach wie vor unterwegs: Franco Marvulli ist auch nach seiner aktiven Karriere noch oft auf dem Velo anzutreffen.

Als Aktiver mehrfacher Bahn-Weltmeister und Medaillengewinner an den Olympischen Spielen, ist Franco Marvulli dem Bahn-Radsport bis heute erhalten geblieben. Als Stadion-Speaker und TV-Experte führt er die Zuschauer mit seiner Expertise und Erfahrung durch spannende Rennen und steigt auch selber immer wieder gerne aufs Velo. Im Monatsinterview spricht der Zürcher über die Entwicklung des Bahn-Radsports und die bevorstehende EM in Grenchen

Wir führen dieses Gespräch, während du eine Radtour durch Afrika machst. Was fasziniert dich als «Radsport-Pensionär» am Velofahren?

Sehr vieles! Die Freiheit, die Natur, das Abenteuer und das Entdecken von neuen Umgebungen oder sogar Ländern faszinieren mich sehr. Das Velo ist das Fortbewegungsmittel des 21. Jahrhunderts. Du kommst von A nach B und bleibst dabei auch noch fit.

Bist du heute ein glücklicherer Radfahrer als während deiner aktiven Karriere?

Ja, auf jeden Fall. Ich beendete meine Karriere, weil ich dachte, ich hätte die Freude am Sport verloren. Die eigentliche Freude am Velofahren kam aber dann erst nach meinem Rücktritt. Ich fahre zwar nicht mehr vor vollen Zuschauertribünen und habe weniger Privilegien, aber nun kann ich es ohne Leistungsdruck und Stress geniessen und so schnell, lange und intensiv fahren, wie ich gerade Lust habe.

Du warst während deiner Karriere für deine lockere Art bekannt. War dies auch ein Grund für deinen Erfolg?

(lacht) Gegen aussen wirkte ich schon immer sehr entspannt, doch eigentlich war ich immer unglaublich nervös. Ich musste Lockerheit reinbringen, sonst wäre ich an all dem Druck und Stress wohl zu Grunde gegangen.

Du bist 2014 vom Spitzensport zurückgetreten, heute begleitest du die Bahnrennen als Stadion-Speaker oder TV-Experte. War es schon als Aktiver dein Ziel gewesen, über das Karriereende hinaus im Bahnsport involviert zu bleiben?

Nein, eigentlich nicht. Ich wollte nach meiner Karriere etwas Abstand vom Radsport gewinnen und zeigen, dass es auch einen Franco ohne Radsport gibt. Als mich das Tissot Velodrome 2015 anfragte, an der EM in Grenchen als Speaker tätig zu sein, war das eine Art Wiedereinstieg in den Sport. Ich bin bis heute sehr dankbar für ihr Vertrauen, denn so entdeckte ich meine Liebe für die Bahn wieder.

Ich vermisse es nicht, aber ich habe immer Freude, in den Bahn-Zirkus zurückzukehren.

Was verbindet dich heute mit dem Bahn-Radsport?

Auf jeden Fall die Leidenschaft, aber auch die Fans, das Holz der Bahn, die Anspannung im Infield, die Fahrerinnen und Fahrer, die sich auf der Rolle aufwärmen, alles verbindet mich mit dem Sport. Ich kenne die Abläufe und Emotionen so gut, weil ich alles selber durchlebt habe. Ich vermisse es nicht, aber ich habe immer Freude, in den Bahn-Zirkus zurückzukehren.

Wie hat sich der Bahn-Radsport seit deinem Rücktritt verändert?

Heute ist der Sport extrem viel professioneller. Alles wird analysiert und optimiert, Faktoren wie die Aerodynamik, das Material, die Ernährung, die Sportpsychologie und vieles mehr haben einen viel grösseren Stellenwert als zu meiner Zeit. Auch der Aufwand neben dem Training ist für die Athletinnen und Athleten grösser geworden. Social Media und Selbstvermarktung gehören heute zu den täglichen Aufgaben – ich glaube, ich wäre total überfordert gewesen. Heute ist es mehr eine Wissenschaft, früher war es noch ein Sport.

Die UCI hat den Weltcup durch die Kombination Nations Cup/Champions League ersetzt. Wie wirkt sich diese Änderung auf den Bahn-Radsport aus?

Die Champions League ist ein sehr spannendes Format, und ich denke, es ist ein guter Start, um den Bahn-Radsport zu promoten. Es hat viel Potential, und es wäre cool, wenn man die League ausbauen könnte. Wenn die Rennen weltweit stattfinden und die Einstiegshürden gesenkt werden, können noch mehr Athletinnen und Athleten mitmachen und den Bahn-Radsport weiterentwickeln.

In zwei Wochen finden zum dritten Mal Bahn Europameisterschaften in Grenchen statt. Was empfindest du bei diesem Gedanken?

Ich freue mich sehr auf die Heim-EM. Einerseits, weil sie dem Sport zu grosser Visibilität in den Schweizer Medien verhilft, weil die Abendsessions täglich im Schweizer Fernsehen übertragen werden. Andererseits freue ich mich auf die gute Stimmung, die Fans und unsere Schweizer Delegation, die das Velodrom rocken wird. Generell freue ich mich auch immer zu sehen, wenn harte Arbeit belohnt wird. Diese Emotionen zu erleben ist unbezahlbar.

Welchen Tipp möchtest du jungen Rennfahrerinnen und Rennfahrern auf den Weg geben?

Habt Spass, probiert neue Dinge aus und schaut nicht immer aufs Resultat. Niemand interessiert es, ob ihr als Junior gewinnt oder nicht. Diese Zeit sollte man nutzen, um sich selbst und seine Fähigkeiten kennenzulernen. Solang du den Plausch hast, lernst du immer dazu. Betrachtest du es als Job, wird alles viel fokussierter und steifer. Letztlich gibt es aber keine Formel. Du musst selber herausfinden, was für dich am besten ist.

Zur Person

Franco Marvulli gehört zu den erfolgreichsten Schweizer Bahnfahrern des 21. Jahrhunderts. Über den Radsport hinaus bekannt wurde er im Sommer 2004, als er an den Olympischen Spielen in Athen an der Seite von Bruno Risi die Silbermedaille im Madison gewann. In seinem Palmarès finden sich unter anderem vier WM- und fünf EM-Titel sowie über 30 Sixdays-Siege. 2014 beendete er seine Karriere; seither ist er als Moderator, Vortragsredner und Veranstalter tätig. Der 44-Jährige lebt mit seiner Frau und der gemeinsamen Tochter im Zürcher Weinland.

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