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Monatsinterview

«Da wurde es für meinen Kopf richtig schwierig»

Ramona Forchini: „Die Langdistanz scheint ganz gut zu mir zu passen.“ Bild: Mathias Nägeli

Ramona Forchini erlebte in der Saison 2020 eine Achterbahnfahrt mit Happyend; Ende Oktober liess sich die Mountainbikerin aus Wattwil als Marathon-Weltmeisterin feiern. Im Monatsinterview von Swiss Cycling schaut die 26-Jährige zurück – und nach vorne.

Der Weltcup-Auftakt steht unmittelbar bevor. Wie steht es um deine Verfassung – was rechnest du dir in Albstadt und Nove Mesto aus?

Ramona Forchini: Meine Form ist gut, die Vorbereitung ist super gelaufen – ich bin zufrieden. Gleichzeitig weiss ich, dass ich noch Luft nach oben habe.

Blicken wir ein Jahr zurück: Aufgrund der Pandemie ging zuerst einmal bei allen nichts. Später ging wegen eines bakteriellen Infekts im Bein bei dir nichts. Was ging in diesen Wochen in dir vor?

Das war nicht einfach. Im Juni war oder wäre ich in Topform gewesen, dann kamen die Probleme mit dem Lymphknoten und legten mich lahm. Ich hatte den Eindruck, dass niemand wusste, wie man das behandeln soll. Als mir Antibiotika verschrieben wurden und mir gesagt wurde, dass ich mich pro Tag nur noch zweimal 30 Minuten bewegen soll, da wurde es für meinen Kopf richtig schwierig. Ich sass auf dem Balkon, las Zeitungen und musste zuschauen, als der Rennzirkus endlich wieder Fahrt aufnahm. Das war schwer zu verdauen.

«Ich sass auf dem Balkon, las Zeitungen und musste zuschauen, als der Rennzirkus endlich wieder Fahrt aufnahm. Das war schwer zu verdauen.»

Es folgten das Comeback, in letzter Sekunde die Selektion für die Heim-EM, ein starker Auftritt am Monte Tamaro und der Marathon-WM-Titel in der Türkei. Wie hast du diesen «Steigerungslauf» erlebt?

Das kann ich noch heute fast nicht beschreiben. Die Selektion für die Heim-EM hat mich überrascht und mir offensichtlich viel Schub verliehen. Ich sagte mir, nun hast du diesen Startplatz erhalten, also nutze deine Chance, fahre einfach so gut, wie du eben kannst. Das ist mir dann sowohl im Tessin als auch in der Türkei gelungen.

Einen Monat vor dem Gold-Gewinn hattest du an der Marathon-SM Rang 4 belegt und von einer Überraschung gesprochen. Hast du dir vor dem Flug in die Türkei ein konkretes Ziel gesetzt, oder war es eher eine Reise ins Ungewisse?

Der vierte Rang an der SM war mein erstes Rennen nach der Zwangspause. Es war mir darum gegangen, das Rennfeeling wieder zu finden. Nach der SM dachte ich, dass ich nie mehr einen Marathon bestreiten würde, weil ich es im ersten Moment als viel zu lang und viel zu hart empfunden hatte.

Es kam anders…

Genau, sicherlich auch deshalb, weil ich im Marathon schon immer ziemlich gut gewesen bin – auch ohne spezifische Vorbereitung. Ich betrachtete die WM als Erlebnis zum Abschluss dieser Saison. An einen Medaillengewinn dachte ich nicht.

Ramona Forchini kämpfte sich in Sakarya zum Regenbogentrikot. Bild: UCI

Ist eine sehr gute Cross-Country-Athletin fast automatisch auch eine sehr gute Marathon-Athletin – oder ist die Langdistanz auf deine Fähigkeiten zugeschnitten?

Ich denke, es ist eher das Zweite der Fall. Ich habe dreimal in Folge das Etappenrennen Mediterranean Epic gewonnen. Die Langdistanz scheint ganz gut zu mir zu passen.

Ein Marathonrennen dauert drei- bis viermal so lange wie ein Cross-Country-Wettkampf. Welche Rolle spielt im Marathon die mentale Komponente?

Eine sehr grosse! Spätestens nach zwei Stunden schaust du erstmals auf die Uhr und registrierst, dass es mindestens nochmals so lange dauern wird. Ab diesem Moment geht es primär darum, durchzuhalten. Dieses Durchhalten spielt sich im Kopf ab.

Hast du aus der Saison 2020 eine bestimmte Erkenntnis gewonnen?

Ich glaube, ich habe vor allem etwas gelernt: die Geduld zu bewahren, auch wenn es nicht so läuft, wie ich es mir vorstelle. Das ist viel wert, das bringt mich weiter.

«Ich habe vor allem gelernt, die Geduld zu bewahren.»

In der Schweiz gibt es viele Fahrerinnen, die sich auf dem nahezu gleichen Niveau bewegen. Könnt ihr in den Nationalteam-Trainingscamps voneinander profitieren – und wenn ja, in welcher Hinsicht?

Ganz sicher, von stärkeren Athletinnen kann man immer profitieren. Bei mir ist das vor allem im technischen Bereich der Fall. Diese Schwächen kann ich nicht verstecken, da habe ich noch sehr viel Steigerungspotenzial.

Im Juni 2021 findet die Marathon-EM in der Schweiz statt. Reizt es dich, nach dem Gewinn des WM-Titels den EM-Triumph anzustreben?

Ja, das kitzelt mich schon ziemlich stark (lacht).

Du bist 26-jährig, hast noch einige sehr gute Jahre vor dir. Hast du ein bestimmtes Ziel oder eine Vision, was du in deiner Karriere noch erreichen möchtest?

Grundsätzlich möchte ich kontinuierlich besser werden, also jedes Jahr ein Schrittchen nach vorne machen. Und ja, natürlich gibt es die Vorstellung, diese schönen bunten Streifen auch einmal in Cross-Country-Eliterennen zu tragen und an Olympischen Spielen teilzunehmen.

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