Monatsinterview
«Ich mache schon einen Spagat»
Stefan Bissegger über seine Rolle im Bahnvierer: „Ich bin der Joker, werde dort eingesetzt, wo gerade einer fehlt, nicht in Form ist. Ich glaube, ich bin schon auf allen Positionen gefahren.“ Bild: Wim Hoste
Stefan Bissegger erfreut sich eines rasanten Auftstiegs. Im Monatsinterview spricht der 21-jährige Thurgauer über die Verbindung von Bahn- und Strassenradsport, sein künftiges Profiteam und die Olympiaqualifikation in der Mannschaftsverfolgung.
- Auf Instagram nennst du dich «aka Muni» – wie ist es zu dieser eher ungewöhnlichen Bezeichnung gekommen?
Stefan Bissegger: Na ja, aka heisst also known as (auch bekannt unter; die Red.), und mir sagen sie schon seit Juniorenzeiten, ich sei ein Muni. Oder präziser: Unser Nationaltrainer Daniel Gisiger hat mich früher «Muneli» genannt.
- Passt die Bezeichnung denn zu dir?
Bezüglich des Körperbaus sicherlich. Als Junior hatte ich ziemlich viel Speck am Knochen gehabt. Das habe ich ja immer noch (schmunzelt).
- Und trotzdem: Du hast ein aussergewöhnliches gutes Radsportjahr hinter dir…
…welches gar nicht gut begonnen hatte. Ich stürzte mehrfach, fuhr an der Bahn-WM nicht so, wie ich mir das vorgestellt hatte. Zum Glück konnte ich mich aus dieser Negativspirale herausarbeiten – und nach dem Tief kommt ja bekanntlich ein Hoch.
- Wie erlebst du dieses Hoch?
Es ist immer besser und schöner geworden. Es erfüllt dich mit Freude und Genugtuung, wenn du realisierst, dass sich die vielen Trainingsstunden und die Optimierung des Drumherums gelohnt haben.
- Du fährst zweigleisig, bist sowohl auf der Bahn als auch auf der Strasse sehr schnell unterwegs. Siehst du zwischen den Sportarten mehr Parallelen oder Unterschiede?
Ich mache da schon einen Spagat. Auf der Bahn fahre ich in der Einzel- und in der Mannschaftsverfolgung nur vier Kilometer. Das ist eine kurze Sache, von Null auf Hundert. Aber es passt zu mir als Fahrertyp. Anderseits mag ich es auch, wenn es auf der Strasse drei Stunden lang schnell gewesen ist und dann zum Sprint kommt. Ich kann es nicht richtig erklären, bei mir funktioniert es einfach.
- Bringt dieser Spagat auch Vorteile mit sich?
Dank der Bahn bleibe ich explosiv, dadurch habe ich im Sprint bessere Aussichten. Die hohen Intensitäten und das Tempogefühl helfen mir auch auf der Strasse. In der Mannschaftsverfolgung ist der Teamspirit zentral. Man muss zusammenarbeiten, eine Einheit bilden. Das trifft auch auf ein Strassenrennen zu.
- Du bist ein guter Zeitfahrer, kannst sprinten und hältst sogar am Berg mit, wie man an der Tour de l’Avenir gesehen hat. In welcher Rolle siehst du dich in Zukunft?
Sicher nicht am Berg, dafür bin ich zu schwer. Gehört man im Nachwuchs generell zu den Stärkeren, kommt man am Berg etwas länger mit. Bei den Profis sieht das ganz anders aus. Ich sehe mich in den Klassikern, auf Kopfsteinpflaster, in hügeligem Gelände, an kurzen, happigen Anstiegen.
- Im Sommer hast du einen Vertrag beim World-Tour-Team Education First unterschrieben. Was weisst du von dieser Mannschaft?
Sie besteht schon lange, hiess früher Cannondale, dann Garmin. Das Team ist erfolgreich, hat junge Fahrer an die Spitze gebracht; Peter Sagan beispielsweise ist dort gross geworden. Die Zusammensetzung ist sehr international, es sind etwa 25 Nationen vertreten. In einem französischen Team beispielsweise wird im Zweifelsfall für einen Franzosen gefahren. Bei Education First sehe ich gute Chancen, mich entfalten zu können, hie und da auf eigene Rechnung fahren zu dürfen.
- Dein Vertrag läuft erst ab August, damit du dich auf das Olympia-Bahnprojekt konzentrieren kannst.
Das kommt natürlich dazu. Education First ist mir sehr entgegengekommen. Das zeigt, dass mich dieses Team wirklich haben will. Es ist eine Superlösung.
- Im Moment steht die Bahn im Zentrum, für dich die Olympiaqualifikation mit dem Vierer. Wie beurteilst du die Ausgangslage vor Beginn der Weltcupsaison?
Sie könnte besser sein. Zwischen den Plätzen 5 und 9 ist alles eng beisammen; die besten 8 Nationen fahren nach Tokio. Wir dürfen nicht nachlassen, müssen liefern. Wobei: Wir können liefern, wir haben ein starkes Team.
- Was nimmst du im Vierer für eine Rolle ein?
Ich bin der Joker, werde dort eingesetzt, wo gerade einer fehlt, nicht in Form ist. Ich glaube, ich bin schon auf allen Positionen gefahren. Am Start bin ich nicht so schnell wie andere. Dafür bin ich auf dem letzten Kilometer noch in der Lage, schnelle Ablösungen zu fahren.
- An der EM in Holland habt ihr den Schweizer Rekord um fast 1,5 Sekunden auf 3:52,86 Minuten gesenkt. Die Australier und die Dänen fahren nochmals vier Sekunden schneller. Wo findet sich die Differenz zwischen der Schweiz und den Weltbesten?
Da spielen verschiedene Faktoren eine Rolle. Kernpunkt ist wohl die Fahrerstruktur. Wir sind zwar besser und breiter aufgestellt als früher, aber die meisten von uns sind noch sehr jung. In der Schweiz hinken wir in der Entwicklung generell hinterher.
- Wie meinst du das?
Die meisten von uns haben eine Lehre oder eine weiterführende Schule gemacht oder befinden sich noch in der Ausbildung. In anderen Ländern sind die Fahrer mit 17, 18 Jahren bereits Profis und konzentrieren sich aufs Velofahren. Es ist logisch, dass sie mit 20, 21 Jahren einen Schritt weiter sind als wir.