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Portrait

Der Kopf wird zur Konstanten

Arne Mill

«Am Besten kommt es heraus, wenn jeder genau weiss, was er zu tun hat, wenn sich jeder auf seine Aufgabe konzentriert.» – Claudio Imhof Bild: Arne Mill

Claudio Imhof ist der Leader des Schweizer Bahn-Nationalteams, ein Leader
wider Willen. Im Alter von 28 Jahren vermag sich der Thurgauer erstmals richtig
zu entfalten – nicht zuletzt dank des Supports eines Mountainbike-Trainers.

Im Velodrom von Glasgow kam es im August 2018 zu einer Art Wiedergeburt des Schweizer Bahn-Radsports. Drei Medaillen liessen sich die Vertreter von Swiss Cycling an den ersten Multi-Europameisterschaften in der Geschichte umhängen. Mittendrin: Claudio Imhof, Schlüsselfigur im Silber-Vierer, zwei Tage später Bronzegewinner in der Einzelverfolgung. Die Wettkämpfe in Schottland hätten etwas ausgelöst, insbesondere die Mannschaftsverfolgung, lässt er verlauten. «Wir hatten nicht mit einer Medaille gerechnet, wären mit Platz 5 zufrieden gewesen. Als die Plaketten dann um unsere Hälse hingen, kapierte jeder von uns, dass wir etwas erreichen können, wenn wir die Prioritäten alle richtig setzen.»

Imhof ist es unangenehm, über seine Rolle zu sprechen. In sportlicher Hinsicht ist diese spätestens seit Ende Januar unbestritten, hat der Thurgauer doch in Neuseeland als erster Schweizer überhaupt einen Weltcup-Wettkampf im olympischen Omnium für sich entschieden. Er sei keiner, der den Mund aufmache, hält er fest, für ein paar Sekunden innehaltend und danach leise konstatierend, dass es im Vierer gar keinen Leader brauche. «Am Besten kommt es heraus, wenn jeder genau weiss, was er zu tun hat, wenn sich jeder auf seine Aufgabe konzentriert.» Was geschehen könne, wenn sich vieles um einen drehe, sei schliesslich seit drei Jahren bekannt.

«Wir trainieren viel spezifischer als vor zwei, drei Jahren und fahren grössere Gänge.»

Claudio Imhof

Die andere Welt

Die Rede ist vom Olympiaprojekt 2016. Der Vierer, an der Heim-EM 2015 in Grenchen Silbermedaillengewinner, war das Aushängeschild, Stefan Küng dessen Galionsfigur und «Lokomotive». Als der Thurgauer verletzungsbedingt ausfiel, passte nicht mehr viel zusammen; an den Spielen in Rio de Janeiro blieben die Schweizer deutlich unter den Erwartungen. «Wir müssen in der Lage sein, einen Ausfall zu verkraften – egal, wen es trifft», stellt Imhof klar.

Küng liess sich 2015 in Paris als Weltmeister in der Einzelverfolgung feiern, im Final legte er die 4000 Meter in 4:18,915 Minuten zurück. Imhof bewältigte das Pensum an den Weltmeisterschaften 2019 im polnischen Pruszkow in 4:16,583 Minuten; die Leistung bescherte ihm den achten Rang. Der Vergleich off enbart, was sich auf dem Oval abspielt – in welch horrendem Tempo sich der Bahnradsport entwickelt. «Wir trainieren viel spezifischer als vor zwei, drei Jahren und fahren grössere Gänge», erwidert Imhof auf die Frage, was verändert worden sei. Und ergänzt lächelnd, dass beispielsweise die Australier und die Engländer schon länger auf diesem Niveau trainieren, sich «in einer anderen Welt» bewegen würden. Im WM-Final von Pruszkow senkte der australische Vierer den Weltrekord um 1,8 Sekunden auf 3:48,012 Minuten. Frank Pasche, Stefan Bissegger, Imhof und Cyrille Thièry waren bei ihrem Landesrekord im Januar fast sieben Sekunden langsamer gewesen.

Guy Swarbrick

Premiere am anderen Ende der Welt: Claudio Imhof gewinnt in Neuseeland als erster Schweizer auf Weltcupebene ein Omnium. Bild: Guy Swarbrick

Der ruhende Pol

Imhof ist 28-jährig, ein Spätzünder. Wobei dieser Begriff insofern relativiert werden müsse, als die Klasse immer vorhanden gewesen sei, resümiert Bruno Diethelm, der den Thurgauer seit 2014 betreut. Diethelm, hauptamtlich Mountainbike-Nationaltrainer bei Swiss Cycling, bezeichnet das Selbstvertrauen als entscheidenden Faktor. «Claudio ist vom Typ her ein Zweifl er. Er befand sich über längere Zeit in einem Loch, kam nie richtig heraus.» Die Ursachen sind physischer Natur, zudem war er mehrfach zur falschen Zeit am falschen Ort; Imhof mag nicht mehr darüber sprechen. Lieber äussert er sich zu Diethelm, den er als «ruhenden Pol» betitelt. «Seit ich mit ihm arbeite, geht es aufwärts. Er findet die richtigen Worte, wenn ich hadere oder mit mir selbst zu hart ins Gericht gehe.»

In den ersten Momenten nach erwähntem Omnium-Triumph in «Down Under» konnte Imhof die Geschehnisse noch nicht einordnen. Drei Wochen später sagte er analysierend, sein Kopf werde langsam zur Konstanten. Bruno Diethelm wiederum resümiert, Imhof habe seinen Platz gefunden, vermöge sich nun erstmals richtig zu entfalten. Zum Glück für den Schweizer Bahnradsport, der zwar womöglich keinen Leader benötigt, ein Aushängeschild jedoch allemal gebrauchen kann.

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