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OS Tokio

Swiss Cycling schreibt Sportgeschichte

Mit ihrem Dreifachtriumph läuteten die Mountainbikerinnen den Medaillenregen für Swiss Cycling ein. Bild: SWpix.com

Die Athletinnen und Athleten von Swiss Cycling haben an den Olympischen Spielen in Tokio ein halbes Dutzend Medaillen gewonnen. Der Auftritt des Ensembles ist von historischer Relevanz, war es doch zuvor letztmals an den Spielen des Jahres 1952 einem Schweizer Sommersport-Fachverband gelungen, fünf oder mehr Podestplätze zu erreichen.

Vier Radsportarten sind olympisch, in deren drei haben die Vertreterinnen und Vertreter von Swiss Cycling mindestens eine Medaille gewonnen. Die grösstenteils erstklassigen Darbietungen wurden belohnt. Wobei es sich nicht behaupten lässt, dass einfach alles aufgegangen ist – im Gegenteil: Das Schweizer Kreuz war auch zweimal hinter Platz 4 zu sehen; die Bilanz hätte sich daher gar noch besser präsentieren können.

In Erinnerung bleiben werden neben dem Glanz der Medaillen und den strahlenden Gesichtern auf den Podesten spannende Wettkämpfe und grosse Emotionen – ein chronologischer Rückblick in Häppchen:

Samstag, 24. Juli: Strassenrennen Männer

Swiss Cycling ist auf dem überaus coupierten Kurs am Fusse des Mt. Fuji mit einem hochklassigen Quartett vertreten, bestehend aus Marc Hirschi, Stefan Küng, Gino Mäder und Michael Schär. In der Schlussphase entwickelt sich der Wettkampf bei Temperaturen von über 30 Grad und einer Luftfeuchtigkeit von 85 Prozent zum Ausscheidungsrennen. Hirschi und Mäder, die designierten Schweizer Leader, verlieren im letzten Anstieg den Anschluss. Es gewinnt der Bergspezialist Richard Carapaz aus Ecuador, Hirschi belegt als bester Schweizer Rang 25.

Sonntag, 25. Juli: Strassenrennen Frauen

Weil die Resultate der Saisons 2020 und 2021 bei der Vergabe der Quotenplätze im Strassenradsport nicht berücksichtigt worden sind, besteht die Equipe von Swiss Cycling «nur» aus Marlen Reusser. Nach starkem Auftritt auf der ersten Streckenhälfte unterläuft der Zeitfahrspezialistin bei der Verpflegung ein Missgeschick; es entsteht eine Lücke, welche die Bernerin nicht mehr zu schliessen vermag. Die Österreicherin Anna Kiesenhofer gewinnt nach langer Soloflucht sensationell Gold, Reusser belegt Rang 46.

Montag, 26. Juli: Mountainbike Männer

Nino Schurter und Mathias Flückiger übernehmen früh das Kommando, sorgen für eine hohe Pace. In der vierten Runde ziehen Flückiger und der Brite Tom Pidcock davon. In der fünften Runde unterläuft dem Berner ein Fehler, worauf sich der Brite zu lösen vermag und Olympiasieger wird. Mitfavorit Flückiger verliert als Zweiter 20 Sekunden, ärgert sich zuerst über das verpasste Gold, freut sich jedoch später über den Gewinn der Silbermedaille. Schurter muss sich auf der letzten Runde vom Spanier David Valero Serrano überholen lassen, der Olympiasieger von Rio de Janeiro 2016 wird nach beherzter Darbietung undankbarer Vierter. Filippo Colombo komplettiert als Zwölfter den ausgezeichneten Auftritt des Swiss Cycling-Teams.

Dienstag, 27. Juli: Mountainbike Frauen

Infolge des Wetterwechsels – in der Nacht hat es zuweilen heftig geregnet – begeben sich die Schweizerinnen im Unterschied zu den meisten anderen Athletinnen morgens auf die Strecke, besichtigen gemeinsam mit den Trainern den technisch äusserst anspruchsvollen Kurs, ziehen aus den Erkenntnissen ihre Schlüsse. Es sind die richtigen, wie sich rasch herausstellt. Jolanda Neff löst sich früh von der Konkurrenz, dreht in konstant hohem Tempo ihre Runden und lässt sich als Olympiasiegerin feiern. Sina Frei und Linda Indergand kämpfen mit den Französinnen Pauline Ferrand-Prévot und Loana Lecomte um Silber und Bronze, bei Rennhälfte setzen sich die Zürcherin und die Urnerin von den Favoritinnen ab. Frei holt Silber, Indergand Bronze; den Schweizerinnen gelingt der totale Triumph. Nie zuvor waren drei Schweizerinnen an Olympischen Sommerspielen gemeinsam auf dem Podest gestanden, bei den Schweizer Männern geht das letzte Medaillen-Triple auf das Jahr 1936 zurück. An der Siegerehrung fliessen bei Athletinnen und Betreuerstab Freudentränen, es handelt sich um einen der emotionalsten Momente in der Schweizer Sportgeschichte.

Mittwoch, 28. Juli: Zeitfahren

Nach zwei Dritteln der 22 Kilometer langen, mit anspruchsvollen Anstiegen versehene Strecke befindet sich Marlen Reusser knapp ausserhalb der Medaillenränge. Im Schlussabschnitt jedoch schaltet die WM-Zweite aus dem Bernbiet zwei Gänge hoch. Es reüssiert die Holländerin Annemiek van Vleuten, Reussers Steigerungslauf beschert ihr Silber. Im Rennen der Männer – es sind 44 Kilometer zurückzulegen – pedalt Primoz Roglic in einer eigenen Dimension. Hinter dem Slowenen kämpfen vier Athleten um Silber und Bronze, darunter Stefan Küng. Das Quartett bewegt sich auf gleicher Höhe, im Ziel trennen den Zweiten und Fünften nach 56-minütiger Fahrzeit viereinhalb Sekunden. Küng verpasst Bronze um läppische vier Zehntel, des Thurgauers Enttäuschung ist riesig. An diesem Tag zeigt sich, wie nahe Freud und Leid im Sport beisammen liegen: Zwei Mitglieder des Swiss Cycling-Teams haben Weltklasseleistungen erbracht, nur eine ist belohnt worden.

Donnerstag, 29. Juli: BMX Racing, Viertelfinals

Auf der BMX Racing-Piste in Tokio offenbart sich früh, dass sich die Kräfteverhältnisse mit jenen im Weltcup nur bedingt vergleichen lassen. Das Gefälle ist verhältnismässig gering, das Tempo entsprechend tief; es muss ungleich öfter in die Pedale getreten werden. Simon Marquart vermag sich nicht richtig zu entfalten, der als Medaillenanwärter angetretene Winterthurer scheidet in den Viertelfinals aus. Zoé Claessens und David Graf – letzterer nach einem heftigen Sturz beim Aufwärmen – ziehen in die Halbfinals ein.

Freitag, 30. Juli: BMX Racing, Halbfinals und Finals

In den Halbfinals meint es Fortuna nicht gut mit Swiss Cycling. Mitfavorit David Graf erleidet im zweiten von drei Läufen einen Platten – was im BMX-Sport selten bis nie vorkommt. Der Winterthurer vermag das Momentum nicht mehr auf seine Seite zu bringen und resümiert später, der Sturz am ersten Tag habe ihm womöglich jenes letzte Quäntchen an Selbstvertrauen geraubt, welches für einen Spitzenplatz nötig gewesen wäre. Die erst 20-jährige Zoé Claessens kommt im ersten Lauf zu Fall, vermag die Handbremse im zweiten nicht ganz zu lösen und deutet im dritten mit Rang 2 an, welch grosses Potenzial in ihr steckt. Die Finals finden ohne Schweizer Beteiligung statt.

Samstag, 31. Juli: BMX Freestyle, Seeding

Bei der Olympia-Premiere von BMX Freestyle ist das Leistungsgefälle verhältnismässig hoch. Nikita Ducarroz, Tochter einer Amerikanerin und eines Genfers, meidet in den «Seeding runs» wie die stärksten Konkurrentinnen unnötige Risiken und reiht sich nach zwei soliden Auftritten als Dritte ein. Was bedeutet, dass die WM-Zweite tags darauf im Final als Drittletzte antreten wird.

Sonntag, 1. August: BMX Freestyle, Finals

Im Unterschied zu den Seeding-Läufen wird am Finaltag nicht der Durchschnitt, sondern der bessere der beiden Läufe gewertet. Nikita Ducarroz präsentiert sich in ausgezeichneter Verfassung, zeigt im ersten Durchgang schwierigere Tricks als am Vortag, packt aber nicht alles aus; es resultiert Rang 2. Im zweiten Durchgang gelingt der in der Ouvertüre gestürzten Britin Charlotte Worthington ein Traumlauf; sie stösst aus den Niederungen der Rangliste an die Spitze vor. Ducarroz ist gefordert, kommt jedoch zu Fall und muss daraufhin mitansehen, wie ihr Perris Benegas gefährlich nahe rückt. Letztlich bleibt die Schweizerin um 0,7 Punkte vor der Amerikanerin und gewinnt die Bronzemedaille.

Montag, 2. August: Bahn, Mannschaftsverfolgung, Qualifikation

In der Königsdisziplin des Bahnsports schreitet die Entwicklung in rasantem Tempo voran. Im Zentrum stehen dabei die Aerodynamik und das Material, bei Letzterem verfügt Swiss Cycling nicht über die gleichen Möglichkeiten wie andere Landesverbände. Der Schweizer Vierer legt in der Besetzung Robin Froidevaux/Mauro Schmid/Stefan Bissegger/Cyrille Thièry eine hohe Pace vor. In der Schlussphase muss Schmid jedoch abreissen lassen, aus der angestrebten Verbesserung des Landesrekords wird nichts. Der Zürcher kämpft mit muskulären Beschwerden im Oberschenkel, in der Hauptrunde wird an seiner Stelle Valère Thiébaud antreten.

Dienstag, 3. August: Bahn, Mannschaftsverfolgung, Hauptrunde

Die Auswahl von Swiss Cycling bleibt im Vergleich mit den nachmaligen Bronze-Gewinnern aus Australien chancenlos, senkt jedoch den nationalen Rekord um über acht Zehntel auf 3:49,111 Minuten. Das gleich auf zwei Positionen – Théry Schir hat von Robin Froidevaux die Funktion des Starters übernommen – veränderte Quartett wäre wahrscheinlich noch ein bisschen schneller gefahren, hätte sich Teamleader Stefan Bissegger nicht durch einen von ihm als Kommando interpretierten Zwischenruf irritieren lassen und das Tempo gedrosselt. Die Schweiz belegt Rang 7, eine halbe Sekunde hinter Deutschland und vor den infolge eines Zusammenstosses mit den Dänen gestürzten Briten.

Mittwoch, 4. August: Bahn, Mannschaftsverfolgung, Platzierungsrunde

Im Vergleich mit den Briten setzt das helvetische Ensemble auf ein höheres Anfangstempo. Die Risikobereitschaft führt trotz eines bärenstarken Auftritts von Bissegger nicht zum erhofften Resultat. Das wiederum veränderte Quartett – Froidevaux ist für Schir in die Aufstellung gerückt – bleibt eine knappe Sekunde über dem Rekord vom Vortag, realisiert jedoch die drittbeste je gefahrene Zeit eines Schweizer Bahnvierers und beendet den Wettkampf auf Rang 8.

Donnerstag, 5. August: Bahn, Omnium

Théry Schir eröffnet den Mehrkampf mit einem neunten Rang im Scratch, schaltet danach zwei Gänge hoch und belegt nach drei von vier Disziplinen Platz 4. Im abschliessenden Punktefahren liegt die Konkurrenz mit Ausnahme des führenden Briten Matthew Walls eng beisammen. Schir gewinnt den doppelt zählenden letzten Sprint, vermag jedoch keine Plätze gutzumachen, weil einem vom Neuseeländer Campbell Stewart angeführten Trio kurz vor Schluss der Rundengewinn geglückt ist. Der couragierte Auftritt des Waadtländers wird mit Rang 7 und einem olympischen Diplom belohnt.

Samstag, 7. August: Bahn, Madison

Seitens der favorisierten Teams aus Dänemark und Grossbritannien wird im Madison von Beginn weg ein horrendes Tempo angeschlagen. Robin Froidevaux und Théry Schir benötigen ein paar Runden, ehe sie richtig auf Touren kommen. In der Folge zeigen sie eine beherzte Darbietung und reihen sich in der vorderen Hälfte des 20 Duos umfassenden Feldes ein. Es wird mit harten Bandagen gekämpft, öfter kommen Athleten zu Fall. Mitfavorit Italien zollt der hohen Pace Tribut und verliert eine Runde, das Schweizer Tandem hingegen hält sich schadlos. Nach 200 Runden, 20 Sprints und einem Durchschnittstempo von fast 60 km/h belegen Froidevaux und Schir den siebten Rang; Swiss Cycling wird dadurch auch in der dritten und letzten Bahn-Entscheidung mit einem Diplom belohnt.

 

Unter dem Strich resultiert die schon fast surreal anmutende Bilanz von sechs Medaillen und fünf Diplomen aus elf Entscheidungen; seit den Olympischen Spielen 1952 in Helsinki hat kein Dachverband auch nur annähernd so gut abgeschnitten. Fünf der sechs Medaillen wurden von Frauen gewonnen, vier dieser Frauen werden von Edi Telser betreut. Der Südtiroler, bei Swiss Cycling als Nationaltrainer Mountainbike und Strasse angestellt, hat eine 100-Prozent-Quote vorzuweisen: Sämtliche Athletinnen, welche in Japan unter seiner Obhut antraten, standen auch auf dem Podest.

Bis zu den nächsten Sommerspielen in Paris dauert es lediglich drei Jahre. Rücktritte von diesjährigen Teilnehmenden dürfte es in der Zwischenzeit nur wenige geben, im Nachwuchs verfügt Swiss Cycling über zahlreiche Athletinnen und Athleten mit viel Potenzial – die Perspektiven sind ausgezeichnet.

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