WC Lenzerheide
Schurter und Flückiger auf dem Podest

Das Top-Trio im Cross-Country-Jahr 2019: Nino Schurter (links) und Mathias Flückiger (rechts) sind derzeit die einzigen Athleten, welche das Ausnahmetalent Mathieu van der Poel zu fordern vermögen. Bild: EGO Promotion
Mathieu van der Poel überflügelt Nino Schurter auch vor dessen Heimpublikum. Der Holländer siegt in Lenzerheide vor dem Bündner und dem Berner Mathias Flückiger. Schurter anerkennt Van der Poels Stärke, sieht aber noch keine Wachablösung.
„Er war heute einfach stärker.“ Oft waren das die Worte von Nino Schurters Gegnern, nach einem der zahlreichen Siege des Bündners. Diesmal sprach sie Schurter aus. Zum dritten Mal in dieser Saison musste sich der langjährige Dominator der holländischen Ausnahmeerscheinung Mathieu van der Poel geschlagen geben. Wie zuletzt im Val di Sole und im Mai in Nove Mesto konnte keiner den Antritten des 24-jährigen Emporkömmlings standhalten, dem im Radsport inzwischen sämtliche Tore offenstehen.
Vor 13’000 Zuschauern setzte Van der Poel an Schurters Heimrennen die entscheidende Attacke im Kampf um den Tagessieg in der vorletzten Runde, in der längsten Steigung des Rundkurses am Rothorn. Just in jener Passage also, in welcher sich Schurter im Vorteil gesehen hatte. Die übrigen Fahrer hatten den Anschluss schon verloren, als Van der Poel früh im Rennen ein erstes Mal beschleunigt hatte. „Es war ein Top-Rennen. Ich gab alles und machte keine Fehler. Heute war einfach einer stärker“, anerkannte Schurter.
Weil sich der Enkel von Raymond Poulidor nun wieder unter die Strassenfahrer mischt und auch auf die Mountainbike-WM von Ende Monat in Kanada verzichtet, war es in diesem Jahr der letzte Vergleich zwischen Schurter und Van der Poel. Mindestens bis zu den Olympischen Spielen 2020 in Tokio will der Holländer den Fokus auf dem Mountainbike behalten.
Schurter hat somit freie Bahn zum erneuten Gewinn des Gesamtweltcups. Vor der Saison-Derniere im September in Snowshoe (USA) liegt der Bündner 310 Punkte vor Henrique Avancini – eine Differenz, die nur noch in der Theorie wettgemacht werden kann. Van der Poel seinerseits hat nur 21 Punkte weniger gesammelt als der Bündner, obwohl er im Juli Vallnord ausgelassen hat. „Der Gesamtweltcup ist ein schöner Trost. Aber eigentlich will ich den im Wissen gewinnen, dass ich alle geschlagen habe“, sagte Schurter hierzu.
Dennoch nimmt der 33-Jährige die verschobenen Machtverhältnisse sehr sportlich: „Mathieu ist ein riesiges Talent, und er reitet im Moment auf einer Mega-Welle des Erfolgs. Heute hat er gezeigt, dass er eine Klasse für sich ist.“ Die Worte „im Moment“ und „heute“ wählte er aber nicht zufällig. Noch wehrt er sich gegen die Stimmen, die eine Wachablösung sehen. „Gegner wie er machen mich stärker“, betonte er. Zudem wisse er aus eigener Erfahrung, dass jeder Leistungsschwankungen unterliegt. „Ihm geht es zurzeit so wie mir in den letzten beiden Jahren“, meinte Schurter.
In den nächsten Wochen ist Schurter wieder der Gejagte. In Abwesenheit von Van der Poel und Mathias Flückiger – der Berner nimmt an der Marathon-WM in Grächen teil – kann er zwei prestigeträchtige Rekorde von Julien Absalon egalisieren: Es winken der 33. Weltcupsieg und der siebte Triumph im Gesamtweltcup.
Mathias Flückiger untermauerte mit Rang 3 in Lenzerheide seinen Aufstieg in die oberste Liga. „Nun schaffe ich es auch auf Strecken, die mir nicht wirklich entgegenkommen, auf das Podest. Das zeigt mir, dass ich vieles richtig mache und auf einem sehr guten Weg bin“, resümierte der Oberaargauer.
Colombos Revanche
Filippo Colombo setzte hinter den Wettkampftag ein Ausrufezeichen. Hatte sich der Tessiner in den letzten Rennen am Rumänen Vlad Dascalu beinahe die Zähne ausgebissen, verwies er seinen Rivalen im Sprint des Heimrennens auf den zweiten Platz und sicherte sich seinen zweiten Saisonsieg in der U23-Kategorie. „Ich wusste, dass ich an der letzten Rampe vorne sein musste, und das war ich dann auch“, hielt Colombo lachend fest. Dessen Gestik bei der Überquerung der Ziellinie spiegelte den Gemütszustand – der Sieg war offensichtlich eine Befreiung. „Ich wusste, dass ich fähig bin, Vlad zu schlagen. Ich attackierte mehrfach, aber er konnte das Loch immer wieder schliessen, Abgesehen von den Weltmeisterschaften war das Heimrennen für mich das Wichtigste in dieser Saison“, sagte der 21-Jährige aus Bironico am Monte Ceneri.
Aus Colombos Perspektive lässt sich in doppelter Hinsicht von einer Revanche schreiben, war er doch vor Jahresfrist an der WM in Lenzerheide deutlich unter Wert geschlagen worden. In den nächsten zwei Wochen wird er sich auf die WM in Kanada vorbereiten – mit einem kleinen psychologischen Vorteil gegenüber seinem Rivalen aus Rumänien. sda/SC