EM Drenthe
Reusser zum Dritten, Bissegger wird Zweiter
Marlen Reusser beschenkt sich zu ihrem 32. Geburtstag selbst und kürt sich im niederländischen Emmen zum dritten Mal in Folge zur Europameisterin im Zeitfahren. Bei den Männern wird Titelverteidiger Stefan Bissegger Zweiter. Stefan Küng kommt, auf Medaillenkurs liegend, zu Fall; er zieht sich Frakturen und eine Hirnerschütterung zu.
Etwas mehr als einen Monat nach ihrem überraschenden Ausstieg aus dem WM-Zeitfahren von Glasgow war Marlen Reusser in ihrer Paradedisziplin an den Europameisterschaften in gewohnt starker Manier unterwegs. Die zweitplatzierte Britin Anna Henderson distanzierte die als Favoritin gestartete Schweizerin auf dem knapp 30 km langen Parcours in der niederländischen Provinz Drenthe um 43 Sekunden.
Für Reusser war die erneute Titelverteidigung mit ihrer Vorgeschichte alles andere als Formsache. Im August hatte sie im WM-Zeitfahren die Reissleine gezogen und das Rennen unter Tränen aufgegeben. Das Lachen hatte die Olympia- und WM-Zweite unlängst wieder gefunden. Am Sonntag strahlte sie als Gesamtdritte der Tour de Romandie Féminin vom Podest. Die Ärztin hat das Geschehene reflektiert und mit ihrem Umfeld die Schlüsse daraus gezogen.
Vor ihrem ersten Zeitfahren seit dem Ausstieg war sie sich aber nicht sicher, ob sie wieder bereit sein würde, im Kampf gegen die Uhr an und zuweilen auch über die Schmerzgrenze hinaus zu gehen. Den Beweis, dass sie wieder zum Leiden bereit ist, lieferte Reusser an ihrem Geburtstag eindrücklich. „Ich habe versucht, vor allem bei Gegenwind in die Pedale zu treten und mich bei Rückenwind, wenn man sowieso schon schnell unterwegs ist, zu erholen“, erklärte sie die Taktik, welche sich bewährt hat. Nach der Zieldurchfahrt streckte sie begleitet von einem breiten Lachen die Faust in die Höhe – die Tränen aus Schottland waren weit weg.
Bei den Männern wurde Titelhalter Stefan Bissegger entthront; als Europameister liess sich der erst 19-jährige WM-Dritte Joshua Tarling feiern. Die Differenz zwischen dem Briten und seinen stärksten Konkurrenten belief sich – wie bei den Frauen – auf fast 43 Sekunden.
Umso knapper wurde es im Kampf um den zweiten Platz. Der belgische Alleskönner Wout van Aert blieb 0,22 Sekunden hinter Bissegger zurück, der die drei harten Wochen an der Vuelta offenbar gut verdaut hatte. Als der 25-jährige Thurgauer im Vorfeld auf die fehlende Pause angesprochen wurde, antwortete er: „Ich weiss nicht, wie mein Körper reagieren wird. Top oder Flop, es ist ein Experiment.“ Und es ist gelungen.
Für Bissegger kommt der Silbermedaillengewinn einem Erfolgserlebnis gleich, war es ihm in den vergangenen Monaten doch ihm nur punktuell gelungen, an die hervorragenden Leistungen der Saison 2022 anzuknüpfen.
Stefan Küng, der sich im Vorjahr im Schweizer Duell um den Sieg um 0,53 Sekunden hatte geschlagen geben müssen, waren vor der EM die besseren Aussichten eingeräumt worden. Tatsächlich lag Küng bei den Zwischenzeiten jeweils vor Bissegger, doch kurz vor Schluss blieb er an einem Absperrgitter hängen. Der 29-Jährige, der schon zweimal EM-Gold gewonnen hat, verletzte sich beim Sturz sichtbar. Blutüberströmt und mit zerbrochenem Helm nahm er das Rennen wieder auf und fuhr als Elfter ins Ziel.
Diagnostiziert wurden eine Hirnerschütterung, ein Jochbeinbruch sowie Frakturen an der Hand. Küngs Allgemeinzustand ist den Umständen entsprechend gut, ein sofortiger operativer Eingriff ist nicht erforderlich. Nach der Rückreise in die Schweiz werden weitere Abklärungen vorgenommen.
Anstelle von Küng wird am Donnerstag der U23-Athlet Fabio Christen das Teamzeitfahren bestreiten.
Text: Keystone-SDA