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Monatsinterview

«Manchmal fühle ich mich eher wie ein Erzieher als wie ein Trainer»

Die Bahnsaison 2018/19 neigt sich dem Ende zu, und Daniel Gisiger feilt wie gewohnt an den letzten Details. Einige Tage vor Beginn der Bahn-WM in Pruszków lässt uns der renommierte Nationaltrainer an seinen Gedanken zu den Athleten, zum Olympiaprojekt und zu seinem Vermächtnis teilhaben.

Bis zu den nächsten Olympischen Spielen dauert es noch ein gutes Jahr: Fahren Sie nach Pruszków, um Medaillen zu holen oder um Qualifikationspunkte für das Olympia-Ranking zu sammeln?
Es wird sehr schwierig werden, Medaillen zu gewinnen. Es ist eindrücklich, wie sehr das Niveau in den letzten Jahren gestiegen ist. Wir arbeiten hart und versuchen, uns kontinuierlich zu verbessern, aber die anderen entwickeln sich auch weiter, mitunter mit mehr finanziellen Mitteln. Wir werden wirklich hart kämpfen müssen, um uns zu qualifizieren.

In der Mannschaftsverfolgung dürfen in Tokio lediglich die acht besten Nationen antreten. Wo steht die Schweiz im Moment?
Wir wissen, dass Australien, England, Dänemark und Italien schneller sind als wir, wenn alle Fahrer fit sind. Eher unerwartet sind die guten Ergebnisse aus Kanada und den USA. Es wird also alles auf einen engen Wettkampf zwischen diesen Ländern, Frankreich, Deutschland, Belgien und uns hinauslaufen. Die Entscheidung wird im Zehntelsekundenbereich fallen.

Von den zehn Schweizer WM-Teilnehmern sind sechs unter 23 Jahre alt. Die neue Generation der Bahnfahrer hat sich rasch einen Platz in der Elite erobert.
Selbst wenn wir nicht auf herausragende Fahrer wie Gino Mäder und Marc Hirschi zählen können, werden einige Jüngere wie Robin Froidevaux immer stärker, und andere wie Stefan Bissegger bestätigen ihre Form. Das ist ein positives Zeichen für die nächsten Jahre.

Wim Hoste

Daniel Gisiger in seinem Element. Mit seinem Team in der Mannschaftsverfolgung will er an die Olympischen Spiele in Tokio. Bild: Wim Hoste

Es gibt also ein gutes Gleichgewicht zwischen «Alten» und «Neuen» im Team …
Claudio Imhof und Cyrille Thièry sind derzeit unsere treibenden Kräfte. Mit dem Alter hat man den Vorteil, über eine deutlich stabilere Form zu verfügen. Bei den Jungen muss man ganz genau aufpassen, dass man sie nicht plötzlich übertrainiert. Aber jenseits der Altersfrage freue ich mich ganz besonders über die eng beieinanderliegenden Leistungen bei den letzten Schweizer Meisterschaften im Omnium. Hier zeigten rund zehn Fahrer, dass sie auf internationalem Niveau mithalten können. Es ist ein Beweis dafür, dass wir mit vielen Athleten zusammenarbeiten konnten.

Ein Ziel von Swiss Cycling ist, dass sich Frauen für Olympia qualifizieren. Wo stehen Sie da?
Die Frauen sind wahnsinnig motiviert und nehmen die Arbeit sehr ernst. Das Projekt ist auf dem richtigen Weg, eine Qualifikation für die olympischen Spiele durchaus möglich. Scott Bugden macht eine ausgezeichnete Arbeit, und das Potenzial ist eindeutig vorhanden.

Seit 2018 bilden Sie gemeinsam mit Scott Bugden und Mickaël Bouget ein Trainer-Trio. Was hat sich durch den Ausbau verändert?
Wir sind mittlerweile viel besser strukturiert. Als ich allein war, entschied ich vieles eher aus dem Bauch heraus. Heute planen wir die Trainings viel besser und sind trotzdem immer bereit, sie nach Bedarf anzupassen. Und ich muss nicht mehr alleine für die Fahrer kochen … (lacht). Aber im Ernst. Weil ich nach den Olympischen Spielen aufhören werde, bemühe ich mich darum, ihnen mein Wissen weiterzugeben.

Was wollen Sie dem Schweizer Bahnradsport hinterlassen?
Für mich ist das Bild des Teams nach aussen sehr wichtig. Unsere Gruppe lebt genau so, wie ich den Radsport verstehe. Das heisst, wir versuchen, im Rahmen der fahrerischen Qualitäten der Athleten so weit wie möglich zu kommen. Manchmal fühle ich mich eher wie ein Erzieher als wie ein Trainer. Ich versuche, den Fahrern über die sportlichen Aspekte hinaus eine Lebenseinstellung zu vermitteln und ihnen die Möglichkeit zu geben, eine klare Meinung zu haben.

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