Monatsinterview
«Ich hatte nicht gewusst, was es heisst, verletzt zu sein»
Bild: Nico van Dartel
Renaud Blanc ist zurück. Nach zwei von Fuss-, Schlüsselbein- und Schulterverletzungen geprägten Jahren glänzt der 28-jährige Genfer wieder auf der BMX-Piste. Im Monatsinterview von Swiss Cycling spricht er über seine Rekonvaleszenz und seine Aussichten im Hinblick auf die Olympischen Spiele in Tokio.
Zum Saisonauftakt hast du am Europacuprennen in Verona den zweiten Platz belegt. Wie fühlt man sich auf dem Podest nach zwei «ausgefallenen» Saisons?
Renaud Blanc: Der zweite Platz war ein gigantischer Motivationsschub! Vor allem mein Selbstvertrauen hat sehr profitiert. Ich musste mir selbst beweisen, dass ich noch immer mit den Besten mithalten kann. Während der Rennpause im Winter hatte es Komplikationen gegeben. Ich konnte mich daher nicht so vorbereiten, wie ich es gehofft hätte. Deshalb war ich frustriert und hatte Zweifel. Ein Platz auf der Siegertreppe gleich am Anfang der Saison – ich hätte mir nichts Besseres wünschen können.
Die beiden ersten Weltcuprennen der Saison in Manchester und in Papendal waren dann etwas schwieriger …
Ich hatte zwei Jahre ohne Weltcuprennen hinter mir. Es fühlte sich an, als wäre ich erstmals im Weltcup gestartet. Es gibt nur ein Mittel, um wieder Tritt zu fassen: Ein Rennen nach dem anderen bestreiten. Mittlerweile spüre ich, dass meine alte Form zurückkehrt.
Wie fit fühlst du dich derzeit?
Ich habe überhaupt keine Schmerzen mehr und kann mein Training nach Wunsch gestalten. Bei meinen Vorbereitungen bin ich noch etwas im Verzug, etwa, was die Kraft betrifft. Aber auch bei anderen Parametern ist noch Feinschliff nötig.
Bei welchen?
Vor allem auf der mentalen Ebene. Weltcuprennen sind ungeheuer intensiv, das lässt sich im Training nicht wirklich simulieren. Selbstvertrauen ist der entscheidende Erfolgsfaktor. Ich weiss, dass mein Niveau momentan gut ist, dass ich gute Starts vorlegen und auf der Piste hohe Geschwindigkeiten erreichen kann. Jetzt geht es darum, alle diese Elemente im richtigen Moment abzurufen.
Die Ausgangslage ist vergleichbar mit Rio: Damals waren wir zwei Anwärter für einen einzigen Platz, jetzt sind wir einfach drei für zwei Plätze.
Nimmst du aus den letzten beiden Jahren etwas Positives mit?
Ich bin noch hungriger als vorher, das ist sicher das Positivste. Zwei Jahre bin ich auf dem Sofa gelegen, habe mir Weltcuprennen im Livestream auf den Computer angeschaut – das war sehr hart. Jetzt kann ich glücklicherweise wieder fahren, und ich versuche, mein Bestes zu geben.
Du hast sehr viel Erfahrung. Hilft dir das in schwierigen Zeiten?
Es stimmt zwar, dass ich seit 23 Jahren BMX fahre, bis im Jahr 2017 hatte ich aber keine einzige Verletzung. Ich hatte nicht gewusst, was es heisst, verletzt zu sein. Ich kann aber relativieren: In 23 Jahren habe ich nur zwei Saisons verpasst, das ist kein schlechter Wert.
David Graf ist 29, du bist 28 Jahre alt. Im Vergleich mit den neuen BMX-Fahrern im Weltcup seid ihr alte Hasen. Wie kann man so lange hervorragende Leistungen erbringen?
Unsere ersten Jahre als Profis waren nicht unbedingt glänzend. Wir haben analysiert, was gut und was weniger gut funktionierte. Nach und nach haben wir uns selbst kennengelernt und geeignete Ansätze gefunden. Das ist die Stärke von David und mir, denke ich. Wir wissen genau, was zu tun ist, damit wir im richtigen Moment in Topform sind.
Im Jahr 2016 warst du an den Olympischen Spielen von Rio als Reservefahrer dabei. Die Schweiz ist auf gutem Weg, im nächsten Jahr zwei Fahrer nach Tokio zu schicken. Wie sind Deine Aussichten?
Die Ausgangslage ist vergleichbar mit Rio: Damals waren wir zwei Anwärter für einen einzigen Platz, jetzt sind wir einfach drei für zwei Plätze (lacht). David (Graf, die Red.) und Simon (Marquart, die Red.) und ich sind alle drei auf einem sehr guten Niveau. Ich bin mir also ganz sicher, dass wir genügend Punkte holen, um zwei Sportler nach Tokio zu schicken. Und ich hoffe, dass ich einer von den zweien sein werde.
Es gibt also ein Teamziel und ein individuelles Ziel?
Tatsächlich müssen wir uns als Land qualifizieren und genügend Punkte holen. Im Rennen aber fährt jeder für sich selbst. Am Samstag fährt jeder sein Rennen, am Sonntag fährt jeder sein Rennen, und abends sitzen wir zusammen im Restaurant und sprechen über die Punkte, die wir geholt haben. BMX ist und bleibt ein Einzelsport.