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Monatsinterview

«Ich fahre noch lieber Rennen, als ich trainiere»

Armin Küstenbrück

Das Kerngeschäft: „Ich bin auf dem Bike aufgewachsen“, hält Jolanda Neff fest. Bild: Armin Küstenbrück

Das Leben von Jolanda Neff dreht sich um das Velo – selbst dann, wenn andere Hänge hinunterwedeln oder über Loipen gleiten. Im Monatsinterview von Swiss Cycling spricht die 26-jährige St. Gallerin über Unterschiede zwischen Mountainbike und Radquer sowie über platte Reifen und andere Faktoren, die sich nicht beeinflussen lassen.

Biken im Sommer, Radquer im Winter, und im Herbst und im Frühling bestreitest du Strassenrennen. Bleibt da noch Platz für alternative sportliche Betätigungsfelder?
Jolanda Neff: Ich habe Langlaufskis, Tourenskis, Alpinskis und sogar ein Snowboard zuhause. Aber ich gebe zu: Oft habe ich dieses Material in den letzten Jahren nicht gebraucht, obwohl ich an sich gerne Schneesport betreibe.

Weil es dich permanent auf ein Velo zieht?
Das ist immer so gewesen. Es ist Leidenschaft, ich bin auf dem Bike aufgewachsen. Als Radquer noch kein Thema war, sass ich auch im Winter oft auf dem Bike und fuhr durch den Schnee. Ich denke, ich täte das heute noch, wenn ich keine Querrennen bestreiten würde. Ich liebe es, den Schnee unter den Pneus zu spüren.

Warum bestreitest du denn mittlerweile Radquer-Wettkämpfe?
Radquer ist eine prima Vorbereitung auf die Mountainbike-Saison. Es ist technisch, es ist intensiv, man muss die Konzentration permanent hochhalten. Zudem fahre ich lieber Rennen, als ich trainiere. Oder präziser: Ich fahre noch lieber Rennen, als ich trainiere. Ich weile gerne in Trainingslagern, insbesondere dann, wenn es warm ist.

Aber?
Die wichtigen Erfahrungen sammelst du nicht im Training. Prickelnde Rennsituationen lassen sich nicht simulieren. In Radquerrennen hingegen erlebst du viele solche Momente.

Woran denkst du jetzt konkret?
Im Radquer gibt es viele Positionskämpfe. Die Sportart ist schnell und hektisch; oft kann man ziemlich viele Ränge gewinnen oder verlieren, wenn man lediglich fünf Sekunden schneller oder langsamer fährt. Auf dem Bike fahren wir manchmal bis zu fünf Minuten am Stück bergauf. In der Regel sind die Abstände zwischen den Fahrerinnen deutlich grösser.

Hat die Laienansicht, wonach Radquer als Winterversion von Cross-Country mit dünnen Rädern betrachtet wird, demnach wenig mit der Realität zu tun?
Man fährt zwar in beiden Sportarten auf Naturboden, aber es sind ganz andere Fähigkeiten gefragt. Ein Radquerrennen dauert bei den Frauen 40 Minuten, ein Bikerennen mehr als doppelt so lange. Der Parcours ist im Radquer mehr oder weniger flach, mit vielen Kurven versehen, und er beinhaltet immer eine Passage, in der man absteigen und das Velo auf den Schultern tragen muss. Von dem, was ich im Radquer lerne, profitiere ich auch auf dem Bike.

Elisa Haumesser

Eine „prima Vorbereitung“ auf die MTB-Saison: „Es ist technisch, es ist intensiv, man muss die Konzentration permanent hochhalten“, sagt Jolanda Neff über den Quersport. Bild: Elisa Haumesser

Du bist 26-jährig, hast aber schon mehr oder weniger alles erreicht…
…nein, das ist übertrieben.

Okay, aber du hast in der Disziplin Cross-Country je dreimal den Gesamtweltcup sowie den EM-Titel gewonnen und bist Weltmeisterin geworden. In welcher Karrierephase befindest du dich?
Das mag nun ein bisschen komisch klingen, aber es fühlt sich an, als hätte ich soeben erst begonnen.

Wie meinst du das?
Klar, ich fahre schon lange Velo. Aber nun, bei Trek, tue ich dies erstmals in einem wirklich professionellen Team. Ich hatte gar nicht gewusst, dass es dieses Level bei den Frauen überhaupt gibt.

Inwiefern wirken sich die neuen Voraussetzungen auf deine Zielsetzungen aus?
Mountainbike bleibt im Zentrum; die Planung ist auf die wichtigen MTB-Rennen ausgerichtet. Es sind aber auch Einsätze auf der Strasse vorgesehen. Im Frühling werde ich sicherlich bei «Strade Bianche» am Start stehen und dort versuchen, meine neuen Teamkolleginnen zu unterstützen.

Aus dem vergangenen Jahr wird vor allem der Weltcupfinal in La Bresse in Erinnerung bleiben. Du hast trotz zweier platten Reifen sowohl das Rennen als auch den Gesamtweltcup gewonnen. Was geht dir durch den Kopf, wenn du daran denkst?
Es war aufregend und spannend; es ging auch um viel. Aber ich glaubte immer daran, dass ich das Rennen gewinnen kann.

Sogar nach dem zweiten Platten?
Ja, weil ich weiss, was ich zu leisten imstande bin; es hatte schliesslich auch andere erwischt. Es gibt rund um ein Rennen fast immer Faktoren, die sich kaum oder gar nicht beeinflussen lassen, sich jedoch auf das Resultat auswirken können. In La Bresse sah halt jeder, warum ich zurückgeworfen wurde. In anderen Rennen sind die Ursachen nicht ersichtlich.

Denkst du an die WM in Lenzerheide, als du mit deiner Leistung zufrieden warst, obwohl es knapp nicht für einen Medaillengewinn gereicht hatte?
Zum Beispiel, ja; ich war nach einem Sturz in der Vorbereitung nicht bei 100 Prozent gewesen; vor diesem Hintergrund war die Leistung sehr gut. Oder nehmen wir die Olympischen Spiele 2016…

…als du zehn Tage vor dem Rennen in Rio de Janeiro ebenfalls zu Fall gekommen warst, daher an Rückenschmerzen gelitten hattest.
Genau deshalb war und ist dieser 6. Platz für mich sehr wertvoll. Weil ich das Maximum aus mir herausgeholt hatte. Es ist dieses Bewusstsein, meine Leistung abrufen zu können, auch wenn sich die Umstände nicht zu meinen Gunsten entwickeln, welches mir hilft, mich von Rückschlägen wie jenen in La Bresse nicht aus der Ruhe bringen zu lassen.

Phil Gale Assos

Auch auf Teer im Element: Jolanda Neff ist an der Strassen-WM ins Trikot des Nationalteams geschlüpft Bild: Assos

Zur Person

Jolanda Neff ist in Thal aufgewachsen, unweit des Bodensees. Ihre Eltern leiteten eine Velotrainingsgruppe für Kinder aus der Region; in der fünfköpfigen Familie drehte sich vieles um zwei Räder. Nachdem Neff im Sommer 2011 als 18-Jährige die Latein-Matura bestanden hatte, startete sie in sportlicher Hinsicht durch. 2012, in ihrem ersten U23-Jahr, liess sich die Mountainbike-Spezialistin als Welt- und Europameisterin feiern. Sieben Jahre später ist der Trophäenschrank gefüllt, Neff auch bei der Elite Weltmeisterin sowie je dreimalige Europameisterin und Gesamtweltcupsiegerin. Mittlerweile gehört die St. Gallerin auch im Radquer mindestens zur erweiterten Weltspitze.

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