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Paris-Roubaix

Gesucht: Der König des Kopfsteinpflasters, Premiere bei den Frauen

Silvan Dillier stand 2018 kurz vor einem prestigeträchtigen Sieg auf dem Kopfsteinpflaster (hier hinter Peter Sagan). Bild: Chris Auld

Paris – Roubaix, die Königin der Klassiker, ist zurück. Zweieinhalb Jahre nach der letzten Ausgabe erlebt die Hölle des Nordens am Sonntag ihre Renaissance. 125 Jahre nach der ersten Austragung wird beim Klassiker Paris – Roubaix am Samstag erstmals auch eine weibliche Siegerin gekürt.

Mehr als 900 Tage und drei Verschiebungen nach der letzten Austragung von Paris – Roubaix geht es für die Veloprofis im Norden Frankreichs wieder in die Vollen. Auch dieses Jahr gilt es wieder über 50 Kilometer auf den historischen Kopfsteinpflastern zu absolvieren. Leidend. Kämpfend. Fluchend. Nur der Sieg kann über die Schmerzen hinwegtrösten. Legenden werden geboren.

Doch diesmal kommt die Strecke in einer ganz besonderen Atmosphäre daher: die Landschaft auf den 257 Kilometern von Compiègne nach Roubaix ist auffallend anders als im April, dem angestammten Termin. Die meisten Pavé-Sektoren sind mit Maiskolben ausgekleidet, zwischen den berühmten Pflastersteinen kommt das Gras zum Vorschein. Die Passage im gefürchteten Wald von Arenberg, dem 19. von 30 Sektoren in diesem Jahr, glich kürzlich noch einem grünen Teppich. Nach einer komplizierten Säuberungsaktion sind mittlerweile aber nur noch ein paar Grasbüschel übrig.

Zu einer weiteren Herausforderung könnte der viele Schlamm werden, den die Bauern mit ihren Traktoren bei der Ernte hinterlassen. Dieser wird vor allem dann zum Problem, wenn Regen dazu kommt und die Strecke glitschig wird. Und danach sieht es momentan aus. Am Renntag selber wird zwar keiner erwartet, doch die Wetterprognosen sagen in der Nacht auf Sonntag so viel Regen voraus, dass die 118. Austragung von Paris – Roubaix dennoch nass und rutschig werden könnte. Viele Stürze sind vorprogrammiert, vor allem am Ende einer langen Saison, wenn Körper und Geist bereits erschöpft sind.

Es gibt Fahrer, die würden bei solchen Verhältnissen das Hotel am liebsten gar nicht erst verlassen. „Heute müsst ihr nur 50 Prozent des Pelotons schlagen, denn die andere Hälfte sind Italiener und Spanier, die schon keine Moral mehr haben“, soll Walter Godefroot, ein früherer belgischer Teammanager, jeweils zu sagen gepflegt haben.

Einer, dem weder die Kälte noch die Nässe etwas ausmacht, ist Stefan Küng. „Ich mag es, wenn es zehn Grad ist und regnet“, gesteht der Thurgauer, der Paris – Roubaix ohnehin zu seinen Lieblingsrennen zählt. Als starker Zeitfahrer ist sich der Europameister das Leiden aus den Prüfungen gegen die Uhr gewohnt. 2019 beendete er den Eintagesklassiker beim Sieg des Belgiers Philippe Gilbert im 11. Rang. Dieses Topergebnis tat ihm gut, hatte er bei seinen vier Teilnahmen zuvor doch oft mit Pech und Stürzen zu kämpfen. Wie viel Energie am Ende einer langen Saison noch im Tank ist, wird sich zeigen. Jedenfalls versprach Küng bereits unmittelbar nach dem WM-Strassenrennen am vergangenen Sonntag: „Ich werde voll angreifen.“

Vom Schweizer WM-Sextett stehen ausser Marc Hirschi, der sich auf die am darauffolgenden Samstag stattfindende Lombardei-Rundfahrt vorbereitet, alle am Start. Ein verregnetes Paris – Roubaix wäre für jeden von ihnen – wie auch für alle anderen der total 175 Starter – jedoch ein Novum. In den vergangenen Jahren waren die Pavés meist wenige Tage vor dem legendären Rennen noch schlammig, aber es trocknete rechtzeitig ab. Die letzte epische Schlammschlacht liegt fast zwei Jahrzehnte zurück.

Bei der 100. Austragung des zu den Monumenten im Radsport zählenden Klassikers schüttete es im Jahr 2002 wie aus Kübeln. Es siegte der Belgier Johan Museeuw – wie Fabian Cancellara ein Dreifachsieger. Nur 41 der 190 gestarteten Fahrer erreichten das Ziel im legendären Vélodrome von Roubaix, mit erleichterten Herzen und geschwärzten Gesichtern.

Die nassen Verhältnisse würden den Schwierigkeitsgrad der Hölle des Norden, die ihren Namen in diesem Jahr besonders gerecht werden könnte, natürlich weiter erhöhen. Es würde das Rennen selektiver machen und den Kreis der Sieganwärter kleiner werden lassen. Im Vorteil wären die Quer-Spezialisten. Die bekanntesten unter ihnen sind zweifelsohne der vierfache Weltmeister Mathieu van der Poel und dessen Dauerrivale Wout van Aert. Auch ein Zdenek Stybar, wie Van Aert dreimaliger Weltmeister, Peter Sagan oder Mike Teunissen gehören zu jener Sorte Radprofis mit Querfeldein-Erfahrung. Mit ihrem Können und etwas Glück könnte einer von ihnen am Sonntagabend einen Pflasterstein mit nach Hause nehmen. Selbst die Siegertrophäe dieses Klassikers ist legendär.

Premiere bei den Frauen

125 Jahre nach der ersten Austragung wird beim Klassiker Paris – Roubaix am Samstag erstmals auch eine weibliche Siegerin gekürt. Das Rennen startet in der Kleinstadt Denain und führt über 116,4 km und 17 Kopfsteinpflaster-Abschnitte ins legendäre Vélodrome von Roubaix. Die letzten 85 km sind identisch mit denen des Männerrennens.

Mit Marlen Reusser, der Olympia-Silbermedaillengewinnerin im Zeitfahren, Elise Chabbey und der Nachwuchshoffnung Noemi Rüegg stehen auch drei Schweizerinnen auf der Startliste. Nur eine der 132 Teilnehmerinnen wird am Ende jedoch als erste Roubaix-Siegerin in die Geschichtsbücher eingehen.

Die Radsport-Weltverband UCI ist seit einigen Jahren bestrebt, im Rahmen der Gleichstellung möglichst viele Veranstaltungen auf höchster Ebene für Männer und Frauen zu realisieren. Nach der Flandern-Rundfahrt (seit 2004) und Lüttich-Bastogne-Lüttich (seit 2017) hat mit Paris – Roubaix nun auch das berühmteste der fünf Monumente im Radsport diesen Schritt gemacht.

sda

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