WM Mont-Sainte-Anne
Erfreuliche Perspektiven im fernen Kanada
Olympiasieger, Weltmeister, Gesamtweltcupsieger: Nino Schurter hat alles gewonnen, was sich im Mountainbike-Sport gewinnen lässt. Bild: EGO-Promotion
An der Mountainbike-WM in Mont-Sainte-Anne ist Nino Schurter einmal mehr der Gejagte. In Abwesenheit von Mathieu van der Poel kommt der nominell stärkste Herausforderer des Titelverteidigers aus den eigenen Reihen. Jolanda Neff gehört auf ihrer Lieblingsstrecke zum favorisierten Quartett. Im Downhill finden sich Camille Balanche und Emilie Siegenthaler im erweiterten Kreis der Medaillenanwärterinnen.
32 Fahrer hat Swiss Cycling für die Cross-Country- und Downhill-Titelkämpfe in Kanada selektioniert. Mit Jolanda Neff, Nino Schurter sowie dem Albstadt- und letztjährigen Mont-Sainte-Anne-Sieger Mathias Flückiger verfügt die Auswahl auch ein Jahr nach der stimmungsvollen Heim-WM in Lenzerheide über drei Goldkandidaten bei der Elite. Weil der dreifache Saisonsieger Mathieu van der Poel an der Strassen-WM teilnimmt und auf die MTB-WM verzichtet, treten Schurter und Flückiger am Samstag im olympischen Cross-Country als Favoriten an. Alles zuzutrauen ist auch Jolanda Neff, obwohl die St. Gallerin in dieser Saison noch ohne Weltcupsieg ist.
Dass die WM zum dritten Mal nach 1998 und 2010 in Mont-Sainte-Anne stattfindet, stösst im Fahrerfeld auf Anklang. Der eine knappe Fahrstunde nordöstlich von Québec gelegene Fixpunkt im Mountainbike-Kalender gehört in der Szene zu den beliebtesten Destinationen. Seit der Lancierung des Weltcups im Jahr 1991 machte der Tross ausnahmslos Halt in Mont-Sainte-Anne – wenn nicht für den Weltcup, dann für die WM. Ganz besonders freuen sich die erwähnten Aushängeschilder von Swiss Cycling. Alle feierten dort schon spezielle Erfolge.
Nino Schurter erinnert sich zwar noch an die WM 2010, als ihn zwei Defekte um seinen zweiten Titel brachten, aber auch an die vier Weltcupsiege, die er in Mont-Sainte-Anne schon gefeiert hat. Mathias Flückiger errang dort 2010 den WM-Titel in der U23-Kategorie und gewann letzte Saison sein erstes Weltcuprennen auf höchster Stufe. Jolanda Neff triumphierte im Vorjahr zum dritten Mal auf ihrer Lieblingsstrecke. Steile Aufstiege und Abfahrten, Wurzeln, Steine und Felsen prägen den weitestgehend naturbelassenen Rundkurs – „der Kurs hat alles, was das Bikerherz begehrt“, findet Neff. „Gut zu wissen, dass einem die Strecke liegt“, sagt Schurter.
Schurter kennt sich aus. Etwas ist aber ungewohnt. In den letzten Jahren kümmerte es ihn nämlich kaum, wie seine Gegner hiessen. Wer immer es mit dem Bündner aufnahm, hatte einen schweren Stand. Siebenmal wurde der 33-Jährige seit seinem ersten Triumph vor zehn Jahren Weltmeister. Er gewann sechsmal den Gesamtweltcup und steht vor seinem siebten Gesamtsieg. An drei Olympischen Spielen gewann er einen kompletten Medaillensatz, und er hat die Möglichkeit, den Franzosen Julien Absalon bald als erfolgreichsten Mountainbiker in der Geschichte abzulösen.
«Der Kurs hat alles, was das Bikerherz begehrt.»
Jetzt aber schätzt sich Schurter glücklich, dass ein Name auf der Teilnehmerliste fehlt. Mathieu van der Poel, der mit fast unverschämt viel Talent gesegnete 23-jährige Holländer, hat ihn in dieser Saison mehrmals überflügelt. „Eigentlich will ich für einen WM-Titel die Besten schlagen. Andererseits habe ich durch die Absenz von Mathieu eine Sorge weniger“, sagt Schurter. Tatsächlich ist Schurter in den Duellen mit Van der Poel heuer einige Male an seine Grenzen gestossen. Nur weil Van der Poel im Juli die Rennen in Vallnord ausliess, liegt der Schweizer im Gesamtweltcup vor seinem jungen Herausforderer.
Bei den Frauen präsentiert sich die Ausgangslage weniger übersichtlich. In den sechs Weltcuprennen gab es vier verschiedene Siegerinnen und grosse Schwankungen. Neff ist favorisiert, weil sie die Konstanteste war. Dank vier zweiten Plätzen führt die Weltmeisterin von 2017 im Gesamtweltcup vor der Amerikanerin Kate Courtney. Courtney gewann dreimal, geriet dann aber aus dem Tritt. Derweil meldete sich die an Depressionen erkrankte Schwedin Jenny Rissveds zuletzt in Lenzerheide als Siegfahrerin zurück. Komplettiert wird das Quartett der Titelkandidatinnen von der Französin Pauline Ferrand-Prévot.
Viermal Gold und einmal Silber holte die Schweizer Equipe im Vorjahr an der Heim-WM. Dieses Niveau wolle man halten, erklärte Sportdirektor Thomas Peter damals. Dank der guten Nachwuchsarbeit ist die Bestätigung realistisch. Im Team-Wettkampf vom Mittwoch ist die Schweiz mit Schurter, Neff, Sina Frei, Joel Roth und Janis Baumann favorisiert.
Mehrere Trümpfe in den Nachwuchskategorien
Im Weltcup bestreitet Sina Frei bereits die Elite-Rennen – und hat sich dort auf Anhieb in der erweiterten Spitze etabliert. An der WM hingegen tritt die 22-jährige Zürcherin am Samstagmorgen zum letzten Mal in ihrer Karriere in der U23-Kategorie an. 2017 in Australien wurde Frei auf höchster Nachwuchsstufe Weltmeisterin, 2018 in Lenzerheide hinter der um ein Jahr älteren Landsfrau Alessandra Keller Zweite. Das WM-Rennen in Kanada bezeichnet sie als grosse Herausforderung, weil sie die Gegnerinnen und deren Fahrweisen nicht so gut kennt. Mit der sowohl physisch als auch technisch anspruchsvollen Strecke hat sie sich längst angefreundet. «Als ich das erste Mal hier war, staunte ich nicht schlecht. Wenn du mit Puls 190 in eine derart steile und ruppige Abfahrt reinkommst, ist das nicht so einfach.
Ähnlich klingt es bei Filippo Colombo. «Wer in Mont Sainte-Anne gewinnt, ist ein richtiger Mountainbiker», hält der Tessiner fest. Der 21-Jährige aus dem Sottoceneri erfreut sich einer hervorragenden Verfassung. Vor gut zwei Wochen realisierte er in Lenzerheide seinen zweiten Weltcupsieg, hielt dabei den favorisierten Rumänen Vlad Dascalu auf der Zielgeraden auf Distanz. Wie Frei steht der EM-Zweite von Brünn letztmals in der U23-Kategorie am Start. Ziel sei, seine «Supersaison» zu krönen, «ein gutes Resultat herauszufahren». Heisst in seinem Fall, eine Medaille zu gewinnen. Auf U19-Ebene verfügt die Schweiz mit Europameisterin Jacqueline Schneebeli und dem EM-Zweiten Janis Baumann über Athleten, die in ihrer Altersklasse keinen Vergleich zu scheuen brauchen.
Sina Frei wird in Kanada zum letzten Mal in der U23-Kategorie starten. Bild: EGO-Promotion
Aufwind bei den Downhillern
Als hoch erfreulich lässt sich die Entwicklung bei den Schweizer Downhillern bezeichnen. Camille Balanche, die 29-jährige Neuenburgerin mit Vergangenheit im Eishockey-Nationalteam, liess sich im Mai als Europameisterin feiern und raste Anfang August in Val di Sole als Dritte erstmals auf ein Weltcup-Podest – notabene in ihrem zweiten Jahr auf höchstem Level. «Anfang Saison habe ich gemerkt, dass ich fähig bin, in der Qualifikation in die Top Ten zu fahren, ohne die Wohlfühlzone verlassen zu müssen. Das hat mir viel Selbstvertrauen verliehen», hält die Quereinsteigerin fest. Die Strecke in Mont Sainte-Anne kennt Balanche noch nicht, der Kurs wird erst am Mittwoch für den Track Walk geöffnet. «Ich weiss nur, dass die Strecke lang ist und wir in verhältnismässig hohem Tempo unterwegs sein werden. Das kommt mir entgegen.»
Mit der langjährigen Teamleaderin Emilie Siegenthaler findet sich in der Auswahl von Nationaltrainerin Alice Kühne eine zweite Athletin, die zum erweiterten Kreis der Medaillenkandidatinnen gezählt werden darf. Die Bielerin erzielte in Lenzerheide als Dritte ihren ersten Podestplatz seit zwei Jahren. Ebenfalls aufhorchen liess auf dem Bündner Hochplateau Janosch Klaus. Der 18-jährige Zürcher musste sich bei den Junioren einzig dem Kanadier Seth Sherlock geschlagen geben. Die Downhiller bestreiten am Freitag die Qualifikation, die Finals finden am Sonntag statt.
In Mont Sainte-Anne werden im Rahmen von Mountainbike-Weltmeisterschaften erstmals Titel in der Kategorie E-Bike vergeben. Die Schweiz ist mit zwei Athletinnen und vier Athleten vertreten. Bekanntester Teilnehmer mit Schweizer Pass ist der ehemalige Cross-Country-Olympiamedaillengewinner Christoph Sauser. sda/SC
Camille Balanche ist auf Erfolgskurs. Bild: EGO-Promotion
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