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Monatsinterview

«Eigentlich könnte ich jetzt zurücktreten»

Chris Auld

Aufstrebender Allrounder: Gino Mäder (hier an der WM 2018 in Innsbruck) wird als aussichtsreicher Rundfahrtenspezialist gehandelt. Bild: Chris Auld

Gino Mäder hat die ersten Renneinsätze für sein neues Team hinter sich. Im Interview spricht der 22-jährige Oberaargauer über Positionskämpfe, ein Privileg und einen real gewordenen Kindheitstraum.

Du bist vom nationalen Team IAM Excelsior zum World-Tour-Team Dimension Data gestossen. Wie hast du den Wechsel erlebt?
Gino Mäder: Der Schritt war riesig. Früher fuhr ich ein Velorennen und ging wieder nach Hause. Nun sind sehr viele Ressourcen vorhanden, viele Leute, die sich um alles kümmern, dir alles abnehmen. Es fühlt sich an, als würde ich mich in einer grossen Blase bewegen. Manchmal muss ich mir in Erinnerung rufen, dass es sich um einen Mikrokosmos handelt und es auch noch ein Leben ausserhalb meiner neuen Welt gibt.

Dimension Data ist in Südafrika zuhause – inwiefern hat sich dein Alltag verändert?
Es gibt einen Unterschied: Ich bin häufiger unterwegs. Bin ich zuhause, ist es wie immer: Ich stehe morgens auf, trainiere, kehre zurück und bin müde.

Fühlt es sich so an, wie du es dir vorgestellt hast?
(überlegt) Seit meinem elften Lebensjahr hatte ich davon geträumt, Radprofi zu werden. Nun habe ich es geschafft. Als ich das neue Trikot erhielt, zog ich es an, stand vor dem Spiegel, und es fühlte sich einfach unglaublich gut an – viel besser, als man sich das vorstellen kann. Im Trainingslager auf Mallorca kam mir einmal Mark Cavendish entgegen, und er hielt an, um mit mir zu sprechen – mit mir!

Aus einem Vorbild ist ein Teamkollege geworden.
Genau, und in Momenten wie dem eben beschriebenen spürst du einfach nur Glücksgefühle. Eigentlich könnte ich jetzt zurücktreten, mein Traum ist wahr geworden. Gleichzeitig stehe ich erst am Anfang, die Ausbildung hat eben erst begonnen.

Was wird von dir als Neo-Profi erwartet?
Nichts, einmal davon abgesehen, dass ich die mir zugewiesene Rolle erfülle, meinen Job erledige. Ich spüre keinen Druck, nicht einmal ansatzweise.

 

„In einem Profifeld gibt es viele Fahrer, die gar nie an den Sieg denken. Das Ego rückt in den Hintergrund.“

Gino Mäder

Du bist noch im U23-Alter, trittst nun jedoch in der World Tour an. Ist Velorennen fahren immer dasselbe, oder läuft es anders ab als in der U23-Kategorie?
Bei den Profis sind die Rennen berechenbarer. Es gibt sehr viele Fahrer, die sich für andere aufopfern, sich gänzlich in den Dienst ihres Leaders stellen.

Hat Marc Hirschi den U23-WM-Titel in Innsbruck nicht auch dank einer nahezu perfekten Leistung der ganzen Mannschaft gewonnen?
Das stimmt und ist trotzdem nicht das gleiche. Wir U23-Athleten wussten um unsere Stärken. Wir wollten in Innsbruck unbedingt gewinnen, und wir packten es gemeinsam an. Aber insgeheim dachte jeder, er würde dann derjenige sein, welcher als Erster über die Ziellinie fährt. In einem Profifeld hingegen gibt es viele Fahrer, die gar nie an den Sieg denken. Das Ego rückt in den Hintergrund.

Du hast bisher zwei Rennen bestritten: die siebentägige Vuelta San Juan in Argentinien und das Eintagesrennen Strade Bianche in der Toskana. Wie hast du diese Einsätze erlebt?
In Argentinien war das Klima extrem; einmal wurden 46 Grad gemessen. Mir lief es ganz gut, im Gesamtklassement wurde ich Elfter. Bei Strade Bianche war dann eher das Rennen an sich extrem: Schmale Strassen, von Beginn weg zuweilen kompromisslos geführte Positionskämpfe, und das bei sehr hohem Tempo – Stress pur! An diese Art Rennen muss ich mich noch gewöhnen.

Wie sieht dein Rennprogramm in den nächsten Monaten aus?
Die grössten Einsätze sind jene in der Katalonien-Rundfahrt, der Tour de Romandie und in der Tour de Suisse. Es ist mega cool, dass ich gleich für beide Schweizer Rundfahrten vorgesehen bin. Zudem werde ich vermutlich mit dem Nationalteam die U23-Flandern-Rundfahrt bestreiten.

2020 und 2024 finden die Strassen-Weltmeisterschaften in der Schweiz statt. Was löst der Gedanke an diese Titelkämpfe in dir aus?
2020 kommt für mich vermutlich ein bisschen zu früh, da würde ich bereits eine Teilnahme als Erfolg werten. 2024 hingegen werde ich in einem sehr guten Alter sein. Unsere Generation kann etwas bewegen. Ich denke dabei nicht nur an die letztjährigen U23-Athleten, sondern auch an Fahrer wie Silvan Dillier und Stefan Küng. Die beiden haben sich bereits etabliert, sind aber immer noch jung. Für uns alle ist es ein gewaltiges Privileg, zweimal die Chance zu erhalten, zuhause Weltmeisterschaften zu bestreiten.

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