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Monatsinterview

«Das Vertrauen kommt mit der Erfahrung»

Heimspiel vor grosser Kulisse: An der WM 2018 in Lenzerheide belegte Camille Balanche Rang 15. Bild: EGO Promotion

Camille Balanche hat ihre Begeisterung für den Downhill-Sport spät entdeckt. Das hinderte sie aber nicht daran, sich in rasantem Tempo hochzuarbeiten und zu den weltbesten Spezialistinnen aufzuschliessen. Anfang Mai ist die 29-Jährige aus Biel in Portugal Europameisterin geworden.

Wie fühlt es sich an, beim Weltcup im Trikot der Europameisterin an den Start zu gehen?

Camille Balanche: Das ist super cool, ändert aber nichts Grundlegendes an meiner Herangehensweise. Ich setze mich nicht stärker unter Druck als zuvor. Ich darf nur nicht vergessen, das Trikot vor dem Rennen überzustreifen (lacht).

Was bedeutet dieser Titel für dich?

Er ist etwas ganz Besonderes für mich, habe ich doch an der EM 2018, ziemlich genau ein Jahr vor dem Goldmedaillengewinn, mein erstes Downhill-Rennen bestritten. Leider waren mehrere Favoritinnen nicht am Start. Das ist schade, weil sich auch deshalb weniger Leute für diesen Wettbewerb interessierten als zum Beispiel für die Cross-Country-Disziplin. Aber natürlich hat mich der Titel motiviert und mir zusätzliches Selbstvertrauen gegeben.

Direkt nach dem Gewinn des EM-Titels bist du im Weltcup zweimal auf Platz 7 gefahren, damit besser gewesen als je zuvor. Hast du eine neue Leistungsstufe erreicht?

Und ich hatte die Podiumsplätze ja nur ganz knapp verfehlt! Das Vertrauen kommt mit der Erfahrung. In der letzten Saison war ich nur bei drei Weltcuprennen dabei. Mittlerweile mache ich mir vor dem Start weniger Stress. Denn ich weiss, dass ich die Qualifikation schaffen kann. Auf dem Bike stelle ich mir nicht mehr so viele Fragen. Ich kann mittlerweile höhere Risiken eingehen und eine schnellere Linie fahren. Früher war ich schon zufrieden, wenn ich ins Ziel kam.

Du bist ja ziemlich spät in der Downhill-Szene aufgetaucht …

Mein erstes Downhill-Bike bekam ich im Februar 2018. Im März reiste ich mit Emi (Emilie Siegenthaler, die Red.) zum Training nach Neuseeland. Und im April fuhr ich dann mein erstes Rennen – an den Europameisterschaften.

Es scheint ein Pluspunkt zu sein, mit einer Weltklasseathletin wie Emilie Siegenthaler zu trainieren…

Dank ihr bin ich zum Downhill gekommen. Er wurde mir schnell klar, dass ich meine Qualitäten in dieser Disziplin gut zur Geltung bringen kann. Vorher hatte ich mich auf Enduro konzentriert – eine Disziplin, bei der vor allem Ausdauer gefragt ist. Dabei waren die Abfahrten eigentlich mein Steckenpferd. Es ist eine riesige Chance, ein Vorhaben mit Unterstützung einer so erfahrenen Athletin wie Emilie anzugehen. Das hilft mir ausserordentlich und motiviert mich zum Weitermachen.

Ich habe gelernt, mir die spezifischen Bewegungsformen einer Sportart schnell anzueignen.

Vor dieser Downhill-Karriere hattest du verschiedene Sportarten wie Leichtathletik, Fechten und Volleyball ausprobiert. Bei den Olympischen Spielen in Vancouver gehörtest du sogar dem Schweizer Frauen-Eishockeyteam an. Wie bist du schliesslich zum Radsport gekommen?

Während meines Sportstudiums in Magglingen war es schwierig, Eishockey zu spielen. Da entdeckte ich den MTB-Sport. Mehrere Studienkollegen fuhren schon MTB, und im Rahmen unserer Kurse konnten wir an MTB-Wochen teilnehmen. Mein erstes Bike kaufte ich mir in meinem zweiten Bachelor-Jahr.

Profitierst du heute von den in anderen Sportarten gemachten Erfahrungen?

Ja, weil ich weiss, was es bedeutet, hart zu trainieren, Leistungssport zu betreiben. Im Hockey habe ich zum Beispiel die nötige Explosivität und den erforderlichen Muskeltonus im Oberkörper entwickelt. Ganz allgemein konnte ich durch meine Erfahrungen in den verschiedenen Sportarten meine Koordinationsfähigkeit verbessern. Vor allem habe ich aber gelernt, mir die spezifischen Bewegungsformen einer Sportart schnell anzueignen. Dank dieser Fähigkeit ist es mir gelungen, im Downhill so schnell Fuss zu fassen.

Und welche Sportart steht nach dem Downhill auf dem Programm?

Das weiss ich noch nicht. Aber es ist klar, dass ich irgendwann etwas anderes finden muss (lacht). Ab einem bestimmten Alter ist das Downhill zu anspruchsvoll. Aber im Moment geniesse ich es einfach, dabei zu sein.

Wie weit möchtest du in dieser Disziplin vorankommen?

Ich würde mich gerne in den Top Ten etablieren. Mein nächstes konkretes Ziel besteht darin, im Weltcup aufs Podest zu fahren.

Ihr seid mehrere Schweizerinnen, die im Rennzirkus mitmischen. Ist das ein Vorteil?

Carina (Cappellari), Emi und ich sind während der Saison immer zusammen. In jüngster Zeit befinden wir uns auch im Klassement sehr nahe beieinander. Janine (Hübscher) und Eva (Battolla) haben ebenfalls das Potenzial, in die Top Ten zu fahren. Für ein kleines Land wie die Schweiz ist es genial, über so viele starke Athletinnen zu verfügen. Wir spornen uns gegenseitig an, ohne übermässig miteinander zu konkurrieren.

EM-Gold in Portugal: Camille Balanche posiert mit ihrem männlichen Pendant, dem Franzosen Baptiste Perron. Bild: zvg

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