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Monatsinterview

«Das Resultat gibt mir die Gewissheit, dass ich etwas erreichen kann»

. Bild: Swiss Olympic

2017 löste Marlen Reusser erstmals eine Rennfahrerlizenz. 2018 erlitt die Ärztin einen Beckenbruch. 2019 ist die Zeitfahrspezialistin erstmals als Profi unterwegs, an den European Games gewann sie die Goldmedaille. Im Monatsinterview spricht die im September 29-jährig werdende Bernerin über ihre Achterbahnfahrt und die bevorstehende WM in England.

Unmittelbar vor der EM in Alkmaar hast du im Team-Zeitfahr-Training einen Kreuzbeinbruch erlitten. Wie geht es dir einen Monat nach dem Sturz?

Marlen Reusser: Dem Körper geht es ganz gut. Ich trainiere wieder, wenn auch noch mit kurzen Intervallen und noch nicht ganz in gewohnter Intensität.

 

Und wie geht es dem Kopf?

Dem geht es eigentlich auch gut, weil der Heilungsprozess plangemäss verläuft. Aber es hat mich extrem geärgert, dass ich die EM verpasst habe. Ich hätte gerne gewusst, wo ich wirklich stehe. Das wäre ein guter Vergleich gewesen, und die Strecke wäre mir entgegengekommen.

 

Im Juni standst du an den European Games in Minsk nach dem Zeitfahren ganz oben. Wie hast du diesen Tag erlebt?

Das war schon mega cool. Am Morgen, beim Einfahren, hatte ich kein gutes Gefühl gehabt, und es hatte sich auch auf der Strecke nicht wirklich gut angefühlt. Dann war ich als Erste im Ziel und musste lange warten. Es hat sich gelohnt, lange zu warten.

 

Es war dein erster Medaillengewinn auf internationaler Ebene. Was bedeutet dir dieses Erfolgserlebnis?

Sehr viel, weil ich nun weiss, dass all jene Trainer und sonstige Experten, die seit meinem Einstieg in den Radsport sagen, ich hätte viel Potenzial, nicht falsch liegen. Die European Games waren der erste Grossanlass, den ich nach einer normalen Vorbereitung bestreiten konnte – also ohne Verletzungen oder Prüfungen im Vorfeld. Das Resultat stimmt; es gibt mir die Gewissheit, dass ich etwas erreichen kann. Das macht Mut.

 

Was hast du für Reaktionen erhalten – ist dein «Marktwert» gestiegen?

Ich habe sehr viele Reaktionen erhalten, und ich bin auch von mehreren Teams kontaktiert worden, die mich gerne verpflichten würden. Weil ich in diesem Jahr generell ziemlich viele UCI-Weltranglistenpunkte gesammelt habe bin ich aber nicht sicher, ob mich die Teams wegen meiner Punkte oder wegen mir und meinen Fähigkeiten engagieren möchten.

 

Vor einem Jahr hast du sinngemäss gesagt, die Besten würden sich in einer anderen Welt bewegen. Ist diese Welt ein Stück näher gerückt.

Zweifellos, aber ich das vor einem Jahr sagte, hatte ich in erster Linie Annemiek van Vleuten im Kopf. Sie fährt im Zeitfahren in einer anderen Dimension, da haben weder ich noch andere etwas zu melden.

 

In einem Monat finden die Weltmeisterschaften statt. Was geht dir durch den Kopf, wenn du an Yorkshire denkst?

Ich freue mich sehr darauf, auch wenn sich die Ausgangslage nun leider nicht so präsentiert wie erhofft.

 

Hattest du konkrete Ziele?

Ich hatte einen Top-Ten-Platz im Kopf, und ohne die Verletzung wäre das vermutlich realistisch gewesen. Nun dürfte es schwierig werden.

 

Wie stark hat dich die Verletzung zurückgeworfen?

Das weiss ich schlicht noch nicht. Ich hoffe, dass ich bis zur WM wieder an das Level von Minsk herankomme.

 

Was weisst du über die Strecke?

Es geht immer ein bisschen hinauf und hinunter, das gefällt mir. Ich hoffe einfach, dass der Kurs nicht zu viele technisch schwierige Passagen beinhaltet. Diese gefallen mir weniger.

 

Du bist eine Quereinsteigerin, deine Karriere erinnert an eine Achterbahnfahrt. Wie erlebst du das selbst?

Na ja, es gibt diese und jene Stürze, also solche, die du selbst verschuldest, und solche, bei denen die Schuld nicht bei dir liegt. Jener vor der EM war einer aus der zweiten Kategorie, da ist das Frustpotenzial dann schon sehr hoch.

 

Wie lassen sich die Rückschläge reduzieren?

Indem ich in technischer Hinsicht Fortschritte mache und es mir gelingt, die Aufmerksamkeit während eines Rennens permanent hoch zu halten. Manchmal reicht ein Unterbruch von einem Sekundenbruchteil, und schon liegst du am Boden. Ich habe da schon noch Reserven.

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