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Tokio 2020

«Aus solchen Veränderungen entstehen fast immer Chancen»

Aufstrebendes Talent: Bleibt die Ende April 19-jährig werdende BMX-Spezialistin Zoé Claessens gesund, wird ihr Leistungsvermögen im Sommer 2021 mit hoher Wahrscheinlichkeit höher sein als in diesem Jahr. Bild: Nico van Dartel

Der Beginn der Olympischen Spiele in Tokio ist wegen der Corona-Pandemie um 364 Tage verschoben worden. Swiss Cycling-Sportdirektor Thomas Peter spricht über die Folgen dieser Massnahme für den Radsportverband – vom Materialtransport mit dem Frachtschiff bis zu den Perspektiven für aufstrebende Talente.

Thomas Peter

ist Sportdirektor von Swiss Cycling

Die Olympischen Spiele in Tokio werden ein Jahr später als geplant stattfinden. Klingt nicht spektakulär, hat aber weitreichende Folgen. Wie sieht es diesbezüglich aus der Optik von Swiss Cycling aus?

Thomas Peter: Auf den ersten Blick tönt das tatsächlich nicht nach einer Riesengeschichte. Aber je tiefer man in diese Problematik hineindenkt, desto komplexer wird sie. Das beginnt bei der Einstufung der Sportarten durch Swiss Olympic respektive bei den Fördergeldern, führt über den Kalender…

…inwiefern ist dieser relevant?

Die Frage ist, welche Wettkämpfe vor den Spielen ausgetragen werden, ob zum Beispiel olympische Testevents nachgeholt werden. Wir müssen die Selektionskonzepte überarbeiten, unsere internen Selektionswettkämpfe definieren. Das kann aber erst gemacht werden, wenn der UCI-Kalender steht. Zudem müssen wir im logistischen Bereich einiges neu aufgleisen.

Woran denkst du bei der Logistik?

In dieser Woche hätten wir Material per Frachtschiff nach Japan bringen lassen. Zum Glück konnten wir den Transport noch rechtzeitig stoppen. Das muss neu organisiert werden. Für jene Athleten, deren Wettkämpfe ausserhalb von Tokio stattfinden, haben wir externe Unterkünfte gebucht. Unsere Mountainbiker und Bahnfahrer benötigen in der Vorbereitung Hotelzimmer. Die Preise waren schon für dieses Jahr hoch. Nun ist ungewiss, wie sie sich nach der Krise entwickeln werden.

Wie sieht es denn personell aus?

Auch das ist eine Baustelle. Stefan Bissegger steht ab Anfang August bei einem World-Tour-Team unter Vertrag. Aktuell ist ungewiss, ob er uns im nächsten Jahr für den Bahnvierer zur Verfügung stehen wird. David Graf hätte im Herbst als BMX-Nationaltrainer begonnen, nun möchte er seine Karriere verständlicherweise um ein Jahr verlängern. Es gibt etliche vergleichbare und ähnliche Fälle, die wir nun einzeln anschauen müssen. Das beginnt bei den Athleten, führt über die Trainer und Physiotherapeuten bis zu den Mechanikern.

Was bedeutet die Verschiebung für die Athletinnen und Athleten – können sie ihre geplanten Abläufe im Copy-Paste-Stil übernehmen?

Viele von ihnen werden im ersten Moment enttäuscht gewesen sein. Das ist logisch und menschlich, wenn man jahrelang auf den Tag X hingearbeitet hat. Ich würde ihnen empfehlen, den Motor und den Kopf herunterzufahren, sich neu zu sammeln, das Training aber auf relativ tiefer Flamme möglichst an der frischen Luft durchzuziehen – allein schon, um die Tagesstruktur zu erhalten. Gleichzeitig ist Vorsicht geboten, das Sturzrisiko sollte so klein wie möglich gehalten werden. Ziel muss sein, die Voraussetzungen zu schaffen, damit der Spannungsbogen von Neuem aufgebaut werden kann, sobald sich die allgemeine Lage entschärft.

Kann die Verschiebung für Swiss Cycling auch eine Chance sein?

Aus solchen Veränderungen entstehen fast immer Chancen. Aber man registriert sie erst auf den zweiten Blick, weil die negative oder vermeintlich negative Nachricht überwiegt. In unserem Fall denke ich zum Beispiel an Jolanda Neff. Niemand weiss, ob es ihr nach ihrem schweren Unfall gereicht hätte, rechtzeitig in Form zu kommen. Bei den BMX-Athletinnen hätten wir den Quotenplatz ganz knapp verpasst, wenn die restlichen Weltcups abgesagt worden wären, es bei Olympia aber nicht zur Verschiebung gekommen wäre. Letztlich ist die Antwort auf diese Frage auch eine des Alters.

Inwiefern?

Aufstrebende Talente wie die Mountainbikerin Sina Frei, die BMX-Spezialistin Zoé Claessens und der Strassenfahrer Marc Hirschi haben ein Jahr mehr Zeit, sich und ihre Fähigkeiten weiterzuentwickeln. Bleiben sie gesund, werden sie 2021 stärker sein als 2020. Schwieriger ist die Situation für ältere Athleten. Bei ihnen geht es in erster Linie darum, nicht nachzulassen, das aktuelle Leistungsvermögen zu konservieren.

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