Monatsinterview
Adrian Locher: „Alle regionalen Vereine helfen mit“
Vier Austragungen im März, keine Zeitmessungschips und Honig für die Schnellsten: Die Hindelbanker Frühlingsrennen könnten kaum simpler organisiert werden, erfreuen sich dafür immer grösserer Beliebtheit. Adrian Locher (53), Präsident des RV Ersigen und einer der Köpfe hinter den Frühlingsrennen, spricht über Entwicklung, Herausforderungen und Perspektiven.
Adrian Locher
Präsident des RV Ersigen und OK-Mitglied der Hindelbanker Frühlingsrennen
Auf der Startliste des dritten der vier Hindelbanker Frühlingsrennen standen mehr als 150 Namen – eine erstaunliche Zahl. Wie macht ihr das?
Adrian Locher: Beim dritten Rennen hatten wir auch Glück. Das Wetter war sehr gut, und es gab am gleichen Wochenende keine Strassen- oder Mountainbikerennen in der Umgebung. Daher hatten wir sehr viele Teilnehmende. Wir hatten oft Glück mit dem Wetter, in den letzten 44 Jahren mussten wir lediglich zwei Rennen wegen Schnee absagen.
Die Hindelbanker Rennen sind als regionale Wettkämpfe ausgeschrieben. Woher kommen eure Teilnehmenden?
Normalerweise kommen die Fahrerinnen und Fahrer aus der Umgebung. Wenn aber, wie am letzten Wochenende, keine anderen Rennen stattfinden, kommen die Teilnehmenden aus der ganzen Schweiz. Sogar aus dem Tessin hatten wir einige Fahrer am Start.
Habt ihr euch bei solchen Teilnehmerzahlen schon überlegt, nationale Rennen zu organisieren – oder sogar eine Schweizer Meisterschaft?
Eine Zeitfahr- Meisterschaft stand schon zur Debatte, doch es ist sehr schwierig, für grössere Rennen die Strecke ganz abzusperren und die Bewilligungen zu bekommen. Deshalb möchten wir eher klein bleiben. Die Strecke ist topografisch einfach und daher ideal für den Formstand im Frühling. Wir sind mit dem Ist-Zustand zufrieden.
Mit welchem Ziel organisiert ihr die Frühlingsrennen?
Bei uns sind alle willkommen. Wir bieten den Ambitionierten die Möglichkeit, ihre Saison vorzubereiten. Hobbyfahrer dürfen ihre Grenzen ausloten, und Anfängerinnen und Anfänger können das erste Mal Rennluft schnuppern. Wir wollen mit wenig Aufwand einen guten Einstieg in die Saison oder sogar in den Rennsport ermöglichen.
Wir wollen mit wenig Aufwand einen guten Einstieg in die Saison oder sogar in den Rennsport ermöglichen.
Viele Veranstalter kämpfen mit der generell rückläufigen Bereitschaft zu ehrenamtlichem Engagement. Wie sieht das bei euch aus?
Natürlich haben auch wir manchmal Mühe, genug Helfende aufzubieten. Der RV Ersigen organisiert die Rennen jedoch nicht allein. Alle regionalen Vereine von Swiss Cycling BOE helfen mit und stellen zwei bis drei Helferinnen und Helfer pro Rennen zur Verfügung. So sind immer um die 25 Freiwillige vor Ort und packen an. Im Haupt-OK der Frühlingsrennen sind natürlich immer die gleichen, und die sind auch bei jedem Rennen vor Ort.
Die Hindelbanker Frühlingsrennen gibt es seit 1978. Sind immer noch Organisatoren der ersten Stunde dabei – oder rücken immer wieder Jüngere nach?
Der Hauptinitiant und OK-Präsident Hansueli Ramseier – oder auch „Rämsi“, wie ihn alle nennen – ist nach wie vor der Chef. Sonst sind schon mehrheitlich ältere Mitglieder der Vereine oder ehemalige Rennfahrer, die etwas zurückgeben möchten, dabei. Wir versuchen laufend, Jüngere einzuführen, doch die meisten fahren noch selber Rennen oder haben keine Lust, im März jeden Sonntag freiwillig zu arbeiten.
Wie motiviert ihr die zahlreichen Helferinnen und Helfer, Wochenende für Wochenende am Streckenrand zu stehen?
Das Wichtigste ist, ihnen zu zeigen, dass wir sehr froh um ihre Hilfe sind und sie schätzen. Zudem erhalten alle Helfenden ein gut gefülltes Lunchsäckli mit auf ihre Streckenposten, und nach dem letzten Rennen der Saison gibt es für die Fleissigsten ein Abendessen.
Marlen Reusser (wie Locher Mitglied im RV Ersigen; die Red.) ist in Hindelbank aufgewachsen und hat anlässlich der Frühlingsrennen 2016 ihre ersten Wettkämpfe bestritten. Wie hast du ihre ersten „Gehversuche“ erlebt?
Als Marlen das erste Mal zu uns ins Training kam, sahen wir schnell, dass sie fit ist und viel Kraft hat. Auch sie hat ihre erste Rennerfahrungen bei den Frühlingsrennen gemacht und zeigte sofort, dass sie mit den Männern mithalten kann. Dass sie international nun so erfolgreich ist, freut uns natürlich sehr!
Mit dem Projekt #fastandfemaleSUI versucht Swiss Cycling, mehr Frauen fürs Velofahren zu begeistern und weitere Quereinsteigerinnen wie Marlen Reusser zu finden. Wie sieht die Frauenquote bei den Frühlingsrennen aus?
Leider sind die Frauen nach wie vor etwas rar bei unseren Rennen. Wir bieten im RV Ersigen mittlerweile Trainings an, in denen Einsteigerinnen das Fahren in der Gruppe und die Grundtechnik lernen können, der nächste Schritt wären dann unsere regionalen Rennen. Es gibt immer mehr Frauen auf dem Velo, das Interesse ist sicherlich vorhanden. Ich verstehe jedoch auch, dass nicht alle Rennen fahren wollen, und das ist auch völlig okay.
Ich verstehe, dass nicht alle Rennen fahren wollen, und das ist auch völlig okay.
Bei euch sind viele Grosse am Start gestanden, die Siegerliste reicht von Daniel Gisiger bis zu Marc Hirschi. Das gilt auch für internationale Aushängeschilder wie Zeitfahr-Weltmeisterin Ellen van Dijk. Was habt ihr Besonderes zu bieten?
Unsere Rennen sind unkompliziert. Du kommst, kriegst eine Nummer, und dann wird gefahren. Keine Zeitmessungschips, kein Preisgeld, der Gesamtsieger kriegt vielleicht ein Glas Honig, aber das ist auch schon alles. Die Rangliste wird manuell anhand eines Diktaphon und seit zwei Jahren auch mit Gopro-Kamera produzierten Zielfilms gemacht. Diese Einfachheit ist ein grosses Plus, der Zeitpunkt kurz vor den ersten wichtigen Rennen ebenfalls.
Wie sieht bei euch ein typischer Renntag aus?
Die Streckenchefs treffen sich um 10 Uhr morgens, um die Signalisierung aufzustellen, während erste Helfer die Startnummerausgabe eröffnen. Danach treffen die Samariter und weitere Helfer für die Streckensicherung ein und werden instruiert. Um 13 Uhr beginnen die Rennen. Nach den Rennen wird alles zusammengeräumt, und dann geht es in die Beiz um die Rangliste zu erstellen.
Seit der ersten Austragung sind 44 Jahre vergangen. Wie hat sich das Rennen in den letzten Jahrzehnten verändert?
Zu Beginn fanden die Rennen „wild“ aus einer Trainingsgemeinschaft heraus statt, und die Ranglisten wurden mündlich gemacht. Nach einigen Jahren gab es immer mehr Teilnehmende. Daher musste man die Bewilligung vom Strassenverkehrsamt einholen, und man begann, die Kreuzungen abzusperren. Heute finden die Rennen am Sonntag und nicht wie früher am Samstag statt, weil es am Sonntag weniger landwirtschaftlichen Verkehr hat.
Welches Ereignis ist dir persönlich am stärksten in Erinnerung geblieben?
Nicola Spirig fuhr einmal das ganze Rennen allein im Stil eines Einzelzeitfahrens, weil ihr niemand folgen konnte. Es ist auch schon vorgekommen, dass wir von einem Verein einen Helfer zu wenig hatten und sich dann ein Hobbyfahrer aus diesem Verein bereit erklären musste, den Streckenposten zu übernehmen. Anstatt das Rennen zu bestreiten, stand er schliesslich mit Veloschuhen und der Startnummer am Rücken am Strassenrand und half, die Rennstrecke zu sichern. Ohne Streckensicherung, keine Rennen.